Was wussten die Geheimdienste über seinen Aufenthaltsort?
Der nach über 15 Jahren Versteckspiel gefasste Ratko Mladic besaß keine neue Identität mit echtem Personalausweis wie sein politischer Partner Radovan Karadzic. Der war vor drei Jahren in Belgrad als Wunderheiler im indischen Guru-Stil gefasst worden. Ein schlichter Deckname, ja. Doch Mladics Militärausweis und sein Personalausweis waren echt, allerdings längst abgelaufen, sagt Innenminister Ivica Dacic. Wer hat den Mann versteckt, der leicht zu identifizieren gewesen wäre?
Auch der Chefankläger des UNO-Tribunals für Kriegsverbrechen im einstigen Jugoslawien, Serge Brammertz, zweifelt, dass sich der frühere Militärchef der bosnischen Serben jahrelang ohne fremde Hilfe verstecken konnte. "Es ist klar, dass sich niemand 16 Jahre lang ohne Unterstützung von irgenjemandem und ohne ein Netz von Helfern verstecken kann", wurde Brammertz am Freitag von der privaten Belgrader Presseagentur Beta zitiert.
Dass Mladic Unterstützer hatte, vermutet auch Österreichs Botschafter bei der OECD in Paris, Wolfgang Petritsch. Dem 69-Jährigen müssen Kreise des serbischen Militärs und der Geheimdienste geholfen haben, "so lange in Freiheit zu bleiben", erklärte Petritsch. "Aber dieses Kapitel ist jetzt abgeschlossen", sagte er in der "ZiB2".
"Blödsinn"
Staatspräsident Boris Tadic bezeichnete die Darstellung vieler heimischer Kommentatoren als "Blödsinn", die Behörden hätten die ganze Zeit genau gewusst, wo sich Mladic aufgehalten habe. Doch das sind die Fakten: Bis 2001 lebte der Ex-General unbehelligt in Belgrad, wo ihm im Stadtteil Banovo Brdo ein Haus gehört. Er wurde bei Familienfeiern gesichtet und im Sportstadion. Seitdem fand er in verschiedenen Armeekasernen Zuflucht, wie später herauskam. Bis 2006 hatten die Zeitungen mit exakten Adressen seinen Fluchtweg kreuz und quer durch Neu-Belgrad nachgezeichnet.
Spur verliert sich
Doch dann verliert sich angeblich seine Spur. Die Staatsanwaltschaft bezichtigte später einen Geheimdienstchef (Rade Bulatovic) öffentlich, die Suche und Verhaftung von Mladic torpediert zu haben. Der Mann ist einer der engsten Vertrauten von Vojislav Kostunica, des früheren serbischen (jugoslawischen) Präsidenten (2000-2003) und Regierungschefs (2004-2008). Der mächtige, aber inzwischen pensionierte Chef des Militärgeheimdienstes, Aco Tomic, soll in dieser Zeit der Beschützer von Mladic gewesen sein, vermuten viele Analysten. Tomic ist ebenso ein enger Vertrauter von Kostunica.
Es ist kein Geheimnis, dass sich der Konservative Kostunica großserbischen Ideen verpflichtet fühlt. Ebenso hatte er offen seine Abneigung gegenüber der Europäischen Union (EU) ausgedrückt, die ihn somit nicht mit Mladic "erpressen" konnte. Zur Seite stand Kostunica die Serbisch-Orthodoxe Kirche, deren führende Vertreter sich immer wieder für Mladic und Karadzic eingesetzt hatten. Kostunica pflegt bis heute ein auf verwandtschaftlichen Banden aufgebautes enges Verhältnis zu hohen Geistlichen.
Klar dürfte sein, dass die zivilen und militärischen Geheimdienste ein Auge auf Mladic hatten. Was hätten Agenten für einen Wert, die nicht einmal in ihrem Hinterhof in Belgrad und Umgebung Bescheid wissen? Die Geheimdienste gelten seit jeher als unkontrollierbar und als Staat im Staate.
Für Kostunica könnte es ungemütlich werden. Zumal seit Monaten eine Strafanzeige eines der bekanntesten Anwälte, Srdja Popovic, im Zusammenhang mit der Ermordung des ersten freigewählten Regierungschefs Zoran Djindjic im März 2003 anhängig ist. Dazu soll Kostunica befragt werden, verlangt der Anwalt.