Die Regierung befürchtet bis zu 100.000 Tote. Eine Linzerin starb ebenfalls bei dem Unglück.
Dramatischer Wettlauf gegen die Zeit: Zwei Tage nach dem schweren Erdbeben in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince traf dort am Donnerstag erste internationale Hilfe ein. Während in der zerstörten Stadt Tausende verletzt, hungernd und traumatisiert durch die Straßen irren, kamen viele Rettungsteams wegen der zerstörten Infrastruktur nur auf Umwegen ans Ziel. Sie fanden schreckliches Leid und Elend vor. Tausende Menschen werden noch unter den Trümmern vermutet. Das ganze Ausmaß der Katastrophe blieb aber zunächst ungewiss. Unter den Toten ist eine 61-jährige gebürtige Österreicherin, die seit vielen Jahren auf der Insel lebte und mit einem Haitianer verheiratet war.
Am Donnerstag ereignete sich ein kleines Wunder. Aus den Trümmern der erdbebenzerstörten UNO-Gebäudes in Haiti ist am Donnerstag ein erster Überlebender geborgen worden.
Auch unerwartete Probleme tun sich auf. Weil das Gefängnis von Port-au-Prince eingestürzt ist, sind dutzende Kriminelle auf der Flucht. "Das ist durchaus ein Problem", sagte UN-Nothilfekoordinator John Holmes. "Ich fürchte aber, wir müssen jetzt Prioritäten setzen."
Haitis Regierung befürchtet bis zu 100.000 Tote. Etwa drei Millionen der neun Millionen Einwohner Haitis seien in Not. In der Stadt herrschen chaotische Zustände. Vereinzelt wurden Plünderungen gemeldet. Überlebende versuchten weiter mit bloßen Händen, Verschüttete aus den Trümmern zu retten. Auf den Straßen lagen Tote.
Clinton vergleicht Haiti mit Tsunami-Unglück 2004
US-Außenministerin
Hillary Clinton verglich die Katastrophe mit dem verheerenden Tsunami, der
Weihnachten 2004 Asien heimgesucht hatte. Luftbilder zeigten eine
Ruinenlandschaft wie nach einem Bombardement: demolierte Häuser, Gehöfte und
Elendsviertel, improvisierte Lager. Vielen Bewohner stand die Panik noch
immer ins Gesicht geschrieben, einige wimmerten leise vor sich hin.
Die weltweite Betroffenheit löste eine Welle der Hilfsbereitschaft sowie zahlreiche Spendenappelle für die Opfer in dem bitterarmen Karibikstaat aus. Der Flughafen der Hauptstadt war durch das Beben in Mitleidenschaft gezogen worden, blieb nach einer vorübergehenden Schließung aber für Frachtflüge geöffnet. Zum Drehkreuz für viele Helfer wurde daher Santo Domingo im Nachbarland Dominikanische Republik. In der Nacht auf Donnerstag und am frühen Morgen trafen dort immer mehr Rettungs-Teams ein.
Warnung vor Epidemien
Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF betonte, vor
allem die Kinder vor Ort müssen so rasch wie möglich vor Hunger und
Krankheiten geschützt werden. UNICEF warnt angesichts der chaotischen
Zustände vor dem Ausbruch von Epidemien. Viele Kinder sind verzweifelt und
stehen unter Schock. Bereits vor der Naturkatastrophe waren rund ein Viertel
der Kinder unterernährt und sind jetzt besonders gefährdet. Etwa die Hälfte
der betroffenen Bevölkerung ist unter 18 Jahren; die meisten leben in
extremer Armut.
Internationale Hilfsbereitschaft
Die Weltbank sagte 100
Millionen Dollar Soforthilfe zu. Viele Staaten versprachen Millionenbeträge.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich beeindruckt von der
internationalen Hilfsbereitschaft. Oberste Priorität müsse nun die Rettung
Überlebender haben. Unter den zahlreichen Gebäuden, die bei dem Beben der
Stärke 7,0 am Dienstagnachmittag in der Millionen-Stadt Port-au-Prince dem
Erdboden gleichgemacht wurden, ist auch das UN-Hauptquartier. Auch der
Präsidentenpalast und die Kathedrale wurden schwer beschädigt, Erzbischof
Joseph Serge Miot zählt zu den Toten.
Medizinische Versorgung kollabiert
Zahlreiche Länder entsandten
Bergungsteams und Hilfslieferungen nach Haiti. Die medizinische Versorgung
Haitis ist kollabiert. Viele Krankenhäuser sind zerstört. Die
Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" behandelt bereits
Hunderte von Erdbebenopfern in Port-au-Prince. Da das Beben das
Gesundheitszentrum der Organisation dort zerstört habe, würden Verletzte in
Notzelten versorgt.
Das ärmste Land Amerikas
Der US-Flugzeugträger "USS
Carl Vinson" ist auf dem Weg nach Haiti. Er bringe weitere Hubschrauber
für die Rettungsarbeiten und könne zudem als zusätzlicher Landeplatz für
Hilfsgüter-Transporte dienen. Frankreich entsandte mehrere Flugzeuge in die
Region, an Bord auch der Entwicklungsstaatssekretär Alain Joyandet, der die
Hilfen koordinieren sollte.
Haiti liegt im kleineren, westlichen Teil der Karibik-Insel Hispaniola. Im Osten liegt ein Urlauberparadies, die Dominikanische Republik. Zuletzt war Haiti - das ärmste Land Amerikas - 1842 von einem ähnlich folgenschweren Beben heimgesucht worden. In dem Land sind seit 2004 UN-Friedenstruppen im Einsatz.