Frankreich
Wirbel um Eheannulierung wegen fehlender Jungfräulichkeit
30.05.2008
Weil ein Gericht die Ehe wegen fehlender Jungfreulichkeit der Braut annulierte, ist die Empörung in Frankreich groß.
Ein paar der rund 500 Hochzeitsgäste im nordfranzösischen Roubaix tranken noch zusammen Tee, als der Bräutigam mitten in der Nacht wieder in den Festsaal herunterkam. Fassungslos, weil seine Braut ihn angelogen hatte. Denn die Schwesternschülerin war keine Jungfrau mehr, wie sie ihm ursprünglich gesagt hatte; das hatte der junge Mann gerade festgestellt.
Empörung über das Urteil
Und der frisch gebackene
zögerte nicht lange: Gleich am nächsten Tag ging der muslimische Ingenieur
los und beantragte vor Gericht die Aufhebung der Ehe - und er bekam Recht.
Grund: "Irrtum über die wesentlichen Qualitäten des Partners".
Angewandt wird der Paragraf, wenn ein Mann zum Beispiel herausfindet, dass
seine Frau vor der Ehe als Prostituierte gearbeitet hat, oder wenn eine Frau
im Nachhinein feststellen muss, dass ihr Mann schon einmal verheiratet war
und geschieden ist. An einen Fall, bei dem es um die Jungfräulichkeit der
Braut ging, erinnert sich niemand im französischen Justizministerium. Das
Urteil löst in Frankreich jetzt Empörung aus.
Frauenrechtlerinnen bestürzt
Sie sei "bestürzt", erklärte
die französische Staatssekretärin und Frauenbeauftragte Valerie Letard.
Offenbar könne das französische Strafrecht so ausgelegt werden, dass es
einem "Rückschritt für den Status der Frau" gleichkomme. Der Abgeordnete
Jacques Myard von der konservativen Regierungspartei UMP nannte den
Richterspruch schockierend, weil er "einen altertümlichen Fundamentalismus"
fördere. UMP-Sprecher Frederic Lefebvre forderte, Justizministerin Rachida
Dati solle ein Berufungsverfahren in Gang bringen.
Die Frauenorganisation "Weder Hure noch Unterworfene" sprach von einer "Fatwa gegen die Freiheit der Frau". Die französische Philosophin Elisabeth Badinter erklärte, sie schäme sich für die Justiz. Die Sexualität der Frau sei in Frankreich "eine persönliche und freie, vollkommen freie Angelegenheit". Ein derartiges Gerichtsurteil werde höchstens dazu führen, dass noch mehr junge muslimische Frauen ins Krankenhaus gingen, um ihr Jungfernhäutchen operativ wiederherstellen zu lassen. "Anstatt die jungen Frauen zu verteidigen, erhöht das Gericht den Druck auf sie noch", kritisierte Badinter.
Anwalt: Mandant wurde belogen
Auf einer Lüge habe sein Mandant
keine Beziehung aufbauen können, erklärt der Anwalt des Klägers, Xavier
Labbee. Der Mann habe sich von der Braut "betrogen" gefühlt. "Wenn sie
gleich die Wahrheit gesagt hätte, hätte er sie vielleicht trotz alledem
geheiratet." So aber sei die Annullierung immer noch besser als eine
Scheidung, rechtfertigte der Anwalt das Vorgehen: Die Ehe werde einfach
"gelöscht".