Der Zeuge

Unser Mann im Saddam-Prozess

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Ein österreichischer Arzt könnte im Völkermord-Prozess gegen Saddam Hussein den Ex-Diktator endgültig zu Fall bringen.

Die Anklage: Genozid an der kurdischen Bevölkerung des Nordirak. Ankläger: das irakische Volk. Soeben als Zeuge berufen: Dr. Gerhard Freilinger. Der Wiener Chirurg hatte seinerzeit, von 1984 bis 1988, die Opfer von Saddams Giftgas-Attacken im Nordirak gesehen, behandelt und gemeinsam mit Experten das tödliche Gas identifiziert, das eingesetzt wurde: Senfgas, zuletzt im ersten Weltkrieg verwendet, von der Genfer Konvention verboten. 180.000 Tote forderte die tödliche Waffe insgesamt. Saddams Regime setzte es im Iran-Irak-Krieg gegen Soldaten ein, und schließlich auch gegen Frauen, Kinder, Alte, Kranke: Am 16. März 1988 wurde die nordirakische, von Kurden bewohnte Stadt Halabja von zahllosen Giftgasbomben getroffen. 5000 Tote, Tausende Flüchtlinge, das Leben der wenigen Überlebenden für immer zerstört.

Halabja ist heute eine Stadt der Kranken – und Synonym für den Genozid an der kurdischen Bevölkerung. In der Auseinandersetzung mit dem Giftgas wurde Gerhard Freilinger, ursprünglich als Chirurg zu Hilfe gerufen, zum Spezialisten für Giftgas-Schäden. Jetzt stellt ihn die kurdische Hilfsorganisation „CHAK“ (Centre of Halabja Against Genocide and Anfalization of The Kurds) als Zeuge im Völkermord-Prozess gegen Saddam Hussein auf. Am 9. Oktober wird in Bagdad der Prozess wieder aufgenommen. Im Zuge der weiteren Zeugenvernehmung soll Freilinger von Angesicht zu Angesicht mit dem Ex-Diktator dessen Völkermord an den kurden bezeugen. ÖSTERREICH sprach mit dem Arzt, auf dessen Aussage die Kurden ihre Hoffnungen setzen.

Wie sind Sie zum Zeugen im Prozess gegen Saddam Hussein geworden?
Dazu gibt es eine Vorgeschichte. Ich habe bereits im Jahr 1984 weltweit die ersten Giftgasopfer aus dem Iran übernommen. Anhand der seltsamen Verletzungen und Atembeschwerden habe ich zu recherchieren begonnen, welche Waffen hier eingesetzt wurden. Die Berichte der Opfer waren eindeutig: Da kamen Wolken aus abgeworfenen Bomben, es stank nach faulem Gemüse – mit der toxikologischen Abteilung stellten wir fest: Es muss sich um Senfgas handeln.

Endgültige Sicherheit hatten Sie aber nicht?
Richtig. Deshalb bin ich im März 1984 nach Teheran geflogen, und weiter nach Koramschar am Persischen Golf. Dort habe ich mit Spezialisten aus einer nicht explodierten Bombe die Flüssigkeit gesaugt und in zwei Flaschen im Flieger nach Wien gebracht. Mit Kollegen aus Deutschland, Schweden und Belgien haben wir Untersuchungen angestellt. Und unabhängig voneinander festgestellt: Es handelt sich um Senfgas. Wir mussten die alten Bücher aus dem ersten Weltkrieg konsultieren, denn da gab es die letzten Aufzeichnungen darüber.

Sie haben viele Fälle nach Wien geholt.
Genau. Jedes Jahr wieder frische Fälle: Soldaten, die mit Senfgas vergiftet worden waren. Und am schrecklichen Ende standen die Fälle aus Halamja im Jahr 1988. Alles Zivilisten. Darunter ein 12jähriger Bub, der in Österreich blieb und heute in Kärnten lebt. Sein Leben ist ruiniert, aber seiner Familie geht es noch schlechter.

So wurden Sie zum Giftgasexperten.
Ja. In Folge wurde ich überallhin eingeladen, wo man den Einsatz von Giftgas vermutete, um mit einem Expertenteam Untersuchungen durchzuführen. In Ex-Jugoslawien etwa, dort haben wir aber nichts gefunden. In Angola war ich auch, da besteht der Verdacht, dass Giftgas eingesetzt wurde.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie gefragt wurden, ob Sie als Zeuge gegen Saddam Hussein im Prozess aussagen würden?
Ich war sehr überrascht. Aber gut möglich, dass einer meiner Patienten meinen Namen ins Spiel gebracht hat. Ich erhielt einen Anruf aus Berlin: Eine kurdische Organisation bittet mich, meine Aussage im Völkermord-Prozess gegen Saddam zu machen. Und ich habe zugesagt.

Wann kommen Sie dran?
Das wird nicht so schnell gehen. Zuerst soll ich nach Berlin kommen, um die Details zu besprechen. Aber ich habe gehört, dass dringend Zeugen gesucht werden. Denn es gibt ja bereits die Behauptung von Seiten irakischer Freunde und Gönner von Saddam Hussein, die Giftgasbomben seien von der iranischen Seite gekommen. Ich will keine politische Aussage machen. Aber ich glaube zu wissen, dass nicht die Iraner die Bomben auf ihre eigenen Soldaten geworfen haben, sondern dass das natürlich aus dem Irak kam. Sämtliche Schilderungen der Soldaten und Zivilopfer stimmen überein.

Haben Sie Angst? Gerade wurden Familienangehörige des zuständigen Richters ermordet ?
Nein, ich habe keine Angst. Es dient einer guten Sache. Es ist richtig, die Aussage zu machen. Ich war schon in so vielen Kriegsländern! Ich habe auch in Vietnam Napalm-Opfer gesehen und operiert. Ich habe dazu auf internationalen Tagungen Stellung genommen und laut und deutlich verkündet, woher das Napalm gekommen ist - und zwar nicht von den Vietnamesen ?

Was werden Sie vor Gericht erzählen?
Das, was ich gesehen und erlebt habe. Ich will als Arzt, Mensch und Verantwortlicher für viele, viele Menschen, den es schlecht geht, sprechen. Seit Jahren setze ich mich für die Opfer ein. Ich war auch bei zwei Staatsbesuchen mit, zuletzt im Jahr 2000 mit Bundespräsident Klestil in Teheran. Am Rande des Staatsbesuchs habe ich ein Symposium mit Spezialisten aus dem Iran geleitet. Ich sah meine Patienten wieder, die ich seinerzeit in Wien gepflegt hatte. Ich habe gesehen, wie miserabel es ihnen geht. Die sind aufgeblasen vom Cortison, müssen Lungenspülungen und Geräte eingesetzt bekommen, damit die Luftröhre offen bleibt ? Über das Symposium wurde im ganzen Iran berichtet, ich bin von einem Interview zum nächsten gegangen. Man hat mich als großen Freund und Helfer bezeichnet, der seine Aufgabe gut gemacht hat. Vor allem bei der Erforschung, was diese grauenhaften Verletzungen verursacht hat - und wer es eingesetzt hat.

Nehmen wir an, Sie sind im Gerichtssaal und stehen Saddam gegenüber. Was sagen Sie?
Ich werde vor Saddam bezeugen, dass ich hier so viele Patienten behandelt habe, die alle das Selbe geschildert haben. Das waren Soldaten an der Front, von 1984 bis 1988, also schon vor Halamscha, die mit Giftgas, das hauptsächlich aus Bomben kam, entlang der ganzen Frontlinie vergiftet wurden. Ich werde sagen, dass ich das alles miterlebt habe, dass ich die Bomben gesehen habe und bei der Obduktion der Soldaten dabei war und letztlich das Gift nach Österreich gebracht, untersucht und als Senfgas erkannt habe. Das habe ich erlebt, das habe ich gesehen, und dafür kann ich ein Zeuge sein.

Ist Saddam ein Mörder?
Er hat scheinbar den Befehl zum Morden gegeben. Der letzte Einsatzbefehl kam wohl von „Giftgas-Ali“, (Ali Hassan al-Majid, der Cousin von Saddam Hussein, Anm. des Interviewers). Aber irgendjemand muss gesagt haben: „Das sind unsere Feinde, die muss man ausrotten.“ Ich werde Zeugnis geben von dem, was ich gesehen habe. Und das ist furchtbar. Menschen, die ein Leben lang leiden. Hier ist ein junger Mann, der seit er zwölf ist, eigentlich kein Leben mehr hat. Er kann nicht arbeiten, er kann nicht einmal Rad fahren. Er ist ein Krüppel, ein chronisch invalider Mensch. Das Gift, das ihn ruiniert hat, wurde 1925 durch die Genfer Konvention verboten. Alle Länder haben unterschrieben. Dann wurde es wieder eingesetzt. Und das ist ein Faktum.

Jemand muss die Verantwortung übernehmen ?
Richtig. Jemand muss die Verantwortung übernehmen. Und hier ist aus meiner Sicht die Situation völlig klar: Das kam vom Irak. Na, wer war Präsident des Irak? Er muss ja ein Wort dazu gesprochen haben.

Welche Rolle können Sie im Prozess spielen?
Ich glaube einer der wenigen zu sein, die über so viele Jahre Opfer dieses schrecklichen Einsatzes von Giftgas gesehen haben. Und dass ich wenigstens für die Zukunft sagen kann, dass man um Gottes Willen dieses Mittel nicht mehr einsetzen soll.

Verdient Saddam die Todesstrafe?
Ich bin nicht berechtigt, ein Todesurteil über einen Menschen zu fällen. Ich bin auch kein politisch denkender Mensch. Ich bin Arzt. Ich kann nur dieses schreckliche Leid bezeugen, das er über viele Menschen, Soldaten, Zivilisten gebracht hat, darunter Frauen und Kinder – Man muss sich nur in Halabja umsehen, wie es dort zugeht. Mein Patient war vor ein paar Jahren unten, um seine Familie zu besuchen. Denen geht es dort noch schlechter als ihm. Die ganze Stadt ist verseucht.

Glauben Sie, hat der Prozess gegen Saddam eine abschreckende Wirkung für andere Diktatoren?
Das kann ich mir vorstellen. Vor allem, wenn jemand behauptet: Das stimmt ja alles nicht, das ist ja alles nicht so gewesen. Dann muss man schon sagen: Ich habe es erlebt. In Baghdad sind die Menschen von Angst erfüllt. Alle hatten Angst. Das war ein Regime, ähnlich wie unter Hitler, das ich selbst erlebt habe. All die Diktatoren in Afrika, in Südamerika sollen sehen, dass hier auf internationaler Basis Gerechtigkeit waltet.

Welche Rolle könnte Ihr kurdischer Patient im Prozess spielen?
Er könnte unter Umständen selbst eine Aussage machen. Sein Leben und das Tausender anderer ist zerstört. Jene, die gestorben sind, sind tot. Aber die Überlebenden sind vergessen. Wir wollen sie gar nicht mehr wahrhaben, sie sind allein gelassen worden. Ich habe immer wieder betont, dass man diese Geschädigten nach westlichen Maßstäben behandeln soll. Die kommen zum Teil aus ländlichen Gebieten, sind nach Hause geschickt worden und können nichts mehr tun. Sie liegen als Krüppel herum. Wir müssen die Welt wissen lassen, wie furchtbar ein Krieg mit Giftgas ist. Wir sind Zeitzeugen. Es ist wichtig, hier ein Statement abzugeben: Lasst die Hände vom Giftgas! Und wer immer es dennoch anwendet, ist ein Verbrecher. Und sollte bestraft werden.

Interview: William Tadros

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