Blutige Proteste

Aufstand im Iran: "Tötet den Diktator"

28.12.2009

Auch am Dienstag gingen die schwersten Unruhen seit den Wahlen im Juni im Iran weiter. 15 Menschen starben, Hunderte wurden verhaftet.

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Gegner des erzkonservativen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad und Sicherheitskräfte haben sich auch am Dienstag wieder heftige Straßenschlachten geliefert. Die Polizei hat dabei Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt, die sich vor einem Krankenhaus im Westen Teherans versammelt hätten, meldeten oppositionelle Websites. Mit Sprechchören wie „Tod dem Diktator“ waren Tausende Regierungskritiker auf die Straße gegangen.

Ausschreitungen erreichen „neue Dimensionen“
Doch das Regime schlug hart zurück. Mindestens 15 Demonstranten wurden erschossen. Unter den Opfern ist auch Ali Moussavi (20), ein Neffe von Oppositionsführer Mir-Hossein Moussavi. Der Leichnam von Ali Moussavis ist nach Angaben seiner Familie seit Montag verschwunden. Der Körper des Toten sei vom Regime aus dem Krankenhaus in Teheran fortgeschafft worden und verschwunden.

Doch Ruhe will nicht einkehren. Bilder von wütenden Demonstranten, die auf einen Polizisten einschlagen und Polizeiautos in Brand setzen, kursieren derzeit im Internet und werden im Iran gesehen. „Das sind in der Tat neue Dimensionen mit sehr gefährlichen Konsequenzen“, sagte ein Politikwissenschafter in Teheran.

Präsident: „Regierung ist heute zehnmal stärker“
Nicht nur Oppositionsgruppen sehen Ahmadinejad und seine Regierung mittlerweile unter Zugzwang. Auch konservative Kreise fordern eine politische Lösung. „Das ist leichter gesagt als getan. Denn diese Krise könnte nur mit einem Rücktritt Ahmadinejads beendet werden“, erklärt ein iranischer Journalist. Aber Ahmadinejad denkt anscheinend nicht daran. „Opposition und deren Proteste haben keinen Einfluss auf die Einheit des Landes – die Regierung ist heute zehnmal stärker als vor einem Jahr“, so der Präsident.

Prominente festgenommen
Immer mehr Menschen werden festgenommen, darunter auch einige Prominente. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, die sich zurzeit in London aufhält, berichtete im Nachrichtensender CNN, dass ihre Schwester in Teheran festgenommen worden sei. Wie am Dienstag ebenfalls bestätigt wurde, ist auch ein Reporter aus Dubai festgenommen worden. Das Unternehmen Dubai Media Incorporated (DMI) teilte mit, ein 27-jähriger syrischer Reporter, sei während der Unruhen am Sonntag "verschwunden".

Nach Angaben der Polizei wurden am Wochenende Hunderte Demonstranten festgenommen, später ging das Regime dann direkt gegen Oppositionelle vor. Unter anderem wurden mehrere Berater von Oppositionsführer Mir-Hossein Moussavi verhaftet. Berichte, wonach auch der ehemalige reformorientierte Präsident Mohammed Khatami festgenommen worden sei, wurde am Dienstag in einem Bericht der regimekritischen Website Jaras dementiert.

Das staatliche Fernsehen berichtet von „Elementen“, die von den „Feinden des Landes“ (dem Westen) benutzt würden, um das islamische Establishment zu stürzen. Und die Proteste gehen weiter.

Antonia Rados: "Es wird immer blutiger werden"

Die Politologin und Journalistin Antonia Rados verfolgt seit einem halben Jahr intensiv die Ereignisse, war bei den Juni-Unruhen live vor Ort.

ÖSTERREICH: Wie fest sitzt Irans Präsident Ahmadinejad noch im Sattel?

Antonia Rados: Mahmoud Ahmadinejad wirkt seit den vergangen sechs Monaten zunehmend angeschlagen. Es überrascht jeden, wie stark und unermüdlich die Opposition ist, und man fragt sich: Wie will die islamische Republik diese Proteste noch in den Griff bekommen? Das wird schwierig bis unmöglich, weil die jungen Leute im Iran keine Angst mehr haben. Und verliert einmal ein Demonstrant seine Angst, dann ist es um das Regime geschehen – früher oder später.

ÖSTERREICH: Ist Ahmadinejads Zeit bald abgelaufen?

Rados: Die Zeit ist noch nicht abgelaufen, aber es ist eine schwere Krise. Ahmadinejad hat es in sechs Monaten nicht geschafft, die Opposition mundtot zu machen – trotz Verhaftungen, politischer Toter und des Einsatzes von massiven Sicherheitskräften.

ÖSTERREICH: Wenn es eine Diktatur nicht mehr schafft, die Demonstrationen einzudämmen, sagt das ja alles?

Rados: Das ist die Ein-Millionen-Euro-Frage: Wie stark ist diese Bewegung? Wahr ist, dass immer nur ein paar hundert oder tausend Leute auf den Straßen sind. Der Iran ist ein riesiges Land. Ich fürchte, die Lage wird sich nicht beruhigen, sondern es wird immer blutiger werden.

ÖSTERREICH: Zu wem hält die Bevölkerung?

Rados: Ich schätze, dass 20 bis 25 Prozent für Ahmadinejad sind, gleich viel erklärt dagegen und rund 50 Prozent haben andere Sorgen oder auch Angst.

ÖSTERREICH: Wie wichtig ist der Druck von außen?

Rados: Ich glaube, wir überschätzen diesen Druck von außen. Diese Bewegung ist nicht mit ausländischen Agitatoren gestartet, das hat sich das Regime so zusammengebastelt. Man muss aber auch sagen, dass der Iran in der Region sicherheitspolitisch eines der wenigen Länder ist, die halbwegs stabil sind. Der Bogen der Unruhe würde in Folge eines Sturzes dann von Israel bis zum Hindukusch reichen.

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