recht auf Abtreibung in den usa gekippt

Biden nennt Entscheidung einen ''tragischen Fehler''

24.06.2022

Der Oberste Gerichtshof der USA hat mit einer wegweisenden Entscheidung das liberale Abtreibungsrecht des Landes gekippt.  

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© APA/AFP/MANDEL NGAN
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Sechs der neun Richter stimmten für diese Entscheidung, wie der Supreme Court am Freitag mitteilte. Das Gericht machte damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei - bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen US-Staaten. US-Präsident Joe Biden nannte die Entscheidung einen "tragischen Fehler".

"Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung", heißt es in der Urteilsbegründung. Die Entscheidung ist keine Überraschung: Anfang Mai hatte das Magazin "Politico" einen Entwurf dazu veröffentlicht. Daraus ging bereits hervor, dass das Gericht so entscheiden will. Daraufhin gab es einen Aufschrei von Frauenrechtsorganisationen, Kliniken und Liberalen. Das Urteil ist nun so drastisch wie erwartet. In etwa der Hälfte der Bundesstaaten dürfte es nun zu weitgehenden Einschränkungen kommen.

"Roe v. Wade" gekippt

Es gibt in den USA kein landesweites Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche erlaubt oder verbietet. Abtreibungen sind aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt - heute etwa bis zur 24. Woche. Dies stellte bisher ein Grundsatzurteil des Obersten US-Gerichts von 1973 sicher, das als Roe v. Wade bekannt ist. Ein weiteres Urteil von 1992, Planned Parenthood v. Casey, bestärkte die Rechtsprechung und passte sie etwas an. Der Supreme Court hat diese Entscheidungen nun gekippt.

Die heutige konservative Mehrheit im obersten US-Gericht hielt sich mit Schelte an den Vorgängern nicht zurück. "Roe war vom Tag seiner Entscheidung an ungeheuer falsch und auf Kollisionskurs mit der Verfassung. Casey hat seine Fehler fortgesetzt", heißt es in der Begründung. Die "Befugnis zur Regelung" des Abtreibungsrecht werden nun an das Volk und seine gewählten Vertreter zurückgegeben. In Deutschland bleibt seit 1995 ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt.

Biden: "Ein tragischer Fehler"

   "Es ist meiner Ansicht nach die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs", sagte Biden am Freitag in Washington. "Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um diesen zutiefst unamerikanischen Angriff zu bekämpfen." Der US-Kongress müsse jetzt handeln, um in der Sache das letzte Wort zu haben. "Es ist nicht vorbei", so Biden.

Trump: "Gewinn für das Leben"

Ex-Präsident Donald Trump lobte die Supreme-Court-Entscheidung als "Gewinn für das Leben". Die Entscheidung sei nur möglich gewesen, weil er drei konservative Richter an das Oberste Gericht berufen habe. "Es war mir eine große Ehre, das zu tun", schrieb er in einer Mitteilung. Trotz der "radikalen Linken" bestehe noch Hoffnung, das Land zu retten. Trump hatte während seiner Amtszeit die Richter Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett ernannt. Damit verschob er die Mehrheit im Gericht deutlich nach rechts: auf sechs der neun Sitze.

Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, nannte die Entscheidung "einen Schlag ins Gesicht für Frauen". Die Beschränkung von Abtreibung sei erst der Anfang, warnte die Demokratin am Freitag. "Das ist todernst." Pelosi verwies auf die Kongresswahlen im November - dort stehe das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, auf dem Wahlzettel. "Heute ist einer der dunkelsten Tage, die unser Land je gesehen hat", schrieb der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer , auf Twitter.

Obama ruft zum Protest auf

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama rief zum Widerstand auf. "Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen - und die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern angegriffen", schrieb Obama bei Twitter.

Obama teilte zudem einen Bild mit einem Text: "Schließt Euch den Aktivisten an, die seit Jahren Alarm schlagen beim Zugang zu Abtreibungen, und handelt. Steht mit ihnen bei einem örtlichen Protest", hieß es dort. Seine Frau Michelle Obama schrieb: "Ich bin untröstlich für die Menschen in diesem Land, die gerade das Grundrecht verloren haben, fundierte Entscheidungen über ihren eigenen Körper zu treffen." Der Richterspruch müsse ein Weckruf vor allem für junge Menschen sein.

Der Sohn von Ex-Präsident Donald Trump dagegen feierte die Supreme-Court-Entscheidung als Sieg seines Vaters. "Stolz auf meinen Vater für das, was er heute erreicht hat", schrieb Donald Trump Junior am Freitag bei Twitter. Sein Vater habe für "unsere Bewegung" drei Richter am Obersten Gerichtshof eingesetzt, die gegen liberale Abtreibungsregeln seien. Auch der konservative texanische Gouverneur Greg Abbott begrüßte das Urteil: Texas sei ein Staat, der ungeborenes Leben schütze.

Internationale Kritik

 "Dies ist ein massiver Schlag gegen die Menschenrechte von Frauen und gegen die Gleichberechtigung", sagte UN-Menschenrechtschefin Michelle Bachelet am Freitagabend. Das Recht auf Zugang zu sicherem und legalem Schwangerschaftsabbruch sei international fest verankert, betonte Bachelet und wies auf mehr als 50 Länder hin, in denen die Regelungen in den letzten 25 Jahren liberalisiert wurden. Solche Gesetze garantierten die Selbstbestimmung über Körper und Leben, sagte sie. "Diese Entscheidung nimmt Millionen Frauen in den USA diese Autonomie". Minderheiten und ärmere Frauen seien besonders von dem Entscheid betroffen.

Die Entscheidung sieht nun vor, es den Bundesstaaten zu überlassen, wie sie ihr Abtreibungsrecht regeln. Dies gilt als besonders drastisch. Einige Staaten haben bereits Gesetze vorbereitet, die sofort in Kraft treten können, wenn die bisherige Rechtssprechung kippt - sogenannte Trigger Laws. Es sind vor allem die erzkonservativen Staaten im Süden und mittleren Westen, die Abtreibung ganz oder fast komplett verbieten wollen. Den Anfang machten Missouri und South Dakota.

Eine Reihe liberaler US-Bundesstaaten kündigte an, das Recht auf Abtreibungen weiter schützen zu wollen. Die Gouverneurinnen und Gouverneure unter anderem aus Kalifornien, Oregon, Washington, Massachusetts, New Jersey und New York bekannten sich am Freitag zu ihrer liberalen Haltung bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen. Für Schwangere bedeutet die Entscheidung, Hunderte oder gar Tausende Kilometer reisen zu müssen, um eine Abtreibungsklinik zu erreichen. Viele können sich das nicht leisten. Befürchtet wird, dass wieder vermehrt Frauen versuchen, selbst eine Abtreibung vorzunehmen.

Die Demokraten von Biden hatten Anfang Mai versucht, dass Recht auf Abtreibung per Gesetz zu verankern - scheiterten damit aber im Senat. Die Abstimmung war in erster Linie symbolischer Natur. Mit ihrer knappen Mehrheit können die Demokraten ein solches Gesetz nicht ohne weiteres durchbringen. Hinzu kam, dass nicht einmal in den eigenen Reihen Geschlossenheit herrschte und der demokratische Senator Joe Manchin mit den Republikanern stimmte.

Die Demokraten hoffen, mit dem Thema für die US-Wahlen im November mobilisieren zu können. Sie argumentieren, mit einer deutlichen Mehrheit ein Gesetz verabschieden zu können, dass das Recht auf Abtreibung gesetzlich festschreibt. Umfragen zufolge dürften sie aber ihre Mehrheit verlieren. Das Weiße Haus hatte bereits vor der Entscheidung angekündigt, sich nun erneut an den Kongress zu wenden. Auch dieser Versuch dürfte wegen fehlender Mehrheiten scheitern.

 Nur eine Minderheit der US-Bevölkerung war Umfragen zufolge dafür, dass Roe v. Wade gekippt wird. Dem Institut Gallup zufolge unterstützt seit den 70er Jahren eine Mehrheit das Recht auf Abtreibung - mit Einschränkungen oder unter allen Umständen.

Abtreibungsverbote in US-Staaten in den Startlöchern

Nach der historischen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs kündigte eine Reihe konservativer US-Bundesstaaten weitgehende Abtreibungsverbote an oder setzte diese um. Die Gouverneurin des US-Bundesstaates Alabama, Kay Ivey, erklärte am Freitag, ein Gesetz aus dem Jahr 2019, das von einem Gericht bisher blockiert wurde, solle nun in Kraft treten können. "Im Jahr 2019 war ich stolz darauf, das Gesetz zum Schutz des menschlichen Lebens in Alabama zu unterzeichnen, das eines der schärfsten Abtreibungsverbote des Landes darstellt", so Ivey. Das Gesetz verbietet so gut wie alle Abtreibungen. Ärztinnen und Ärzten, die eine Abtreibung durchführen, droht eine lebenslange Haftstrafe.

Der republikanische Generalstaatsanwalt von Oklahoma, John O'Connor, lobte das Urteil des Supreme Court. Er ermögliche nun, dass ein bereits bestehendes Gesetz, welches Abtreibungen weitgehend verbietet und kriminalisiert, auch in Kraft treten könne. Ähnlich äußerte sich der Generalstaatsanwalt des Bundesstaats Missouri, Eric Schmitt. Auch in Missouri gibt es bereits ein solches Gesetz, das wegen der bisherigen Bundesrechtsprechung nicht in Kraft treten konnte.

Einige Staaten haben bereits Gesetze vorbereitet, die in Kraft treten können, wenn die bisherige Rechtssprechung kippt - sogenannte Trigger Laws. In einigen Bundesstaaten wie Kentucky treten sie sofort in Kraft, in anderen dauert es einen Monat. In manchen Staaten braucht es eine formale Bestätigung des Generalstaatsanwalts oder Gouverneurs - dies ist nun in Missouri und Oklahoma passiert.
 

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