Aus Protest
Bosnischer Premier kündigt Rücktritt an
01.11.2007
Der bosnische Premier Spiric reichte am Donnerstag den Rücktritt ein. Dies sei aus Protest gegen den internationalen Bosnien-Beauftragten.
Der bosnische Ministerpräsident Nikola Spiric hat am Donnerstag seinen Rücktritt eingereicht. Er habe sein Rücktrittsgesuch dem Staatspräsidium übermittelt, sagte der bosnische Serbe in Sarajevo. Der Schritt wurde als Protest gegen die jüngsten Anordnungen des Internationalen Bosnien-Beauftragten Miroslav Lajcak gedeutet, die Spiric als "Dayton-feindlich und gefährlich" bezeichnet hatte. Das komplexe bosnische Staatssystem wurde auf der Grundlage des Daytoner Friedensabkommens von Ende 1995 implementiert.
"Zusätzliche Entmachtung des Regierungschefs"
Lajcak
hatte Mitte Oktober angesichts der anhaltenden politischen Blockade in
Bosnien-Herzegowina Maßnahmen getroffen, die den Entscheidungsmechanismus
der Zentralregierung und des Parlamentes vereinfachen und somit deren
Funktionstüchtigkeit erhöhen sollen. Die Vertreter der drei sogenannten
staatsbildenden Völker - Bosniaken (Muslime), Serben und Kroaten - in der
Regierung hatten zuvor durch ihre Abwesenheit Entscheidungen des Kabinetts
immer wieder verzögert. Spiric sagte am Donnerstag in Sarajevo, dass die
Anordnungen Lajcaks den Regierungschef "nur zusätzlich entmachtet" hätten.
Behörden des bosnisch-serbischen Landesteils hatten die Verfügungen des slowakischen Diplomaten Lajcak heftig kritisiert. Sie sehen darin die Gefahr, die Regierungs- und Parlamentsentscheidungen nicht mehr im gleichen Maße wie bisher beeinflussen zu können. Die zehnköpfige bosnische Regierung setzt sich aus je drei Serben und Kroaten sowie vier Bosniaken zusammen.
Beauftragter befugt erheblich einzugreichen
Per Anordnung Lajcaks
soll sie künftig ihre Entscheidungen mit einfacher Stimmenmehrheit fassen
können, wobei mindestens je ein Vertreter aus jedem der drei Volksgruppen
anwesend sein muss. Bisher war die Anwesenheit von je zwei Vertretern jeder
Gruppe notwendig. Der Internationale Bosnien-Beauftragte ist seit 1997
befugt, erheblich in die Regierungsarbeit einzugreifen. Unter anderem kann
er Gesetze per Dekret anordnen, Abgeordnete ihres Mandats entheben und
Amtsträger entlassen.
"Rücktritt einzig möglicher Beitrag zur Beruhigung"
Eine
Sprecherin des Staatspräsidiums bestätigte nach Einreichung des Rücktritts,
das bisher von Spiric geleitete Kabinett werde entsprechend den
Gesetzesbestimmungen seine Arbeit bis zur Bestätigung eines neuen
Ministerpräsidenten und dessen Kabinetts fortsetzen. Spiric selbst sagte,
sein Rücktritt sei die "einzige Art und Weise", einen Beitrag zur Beruhigung
der Situation in Bosnien-Herzegowina zu leisten. Spiric hatte bereits am
Mittwoch den Friedensimplementierungsrat über seine Rücktrittsabsicht
informiert. Lajcak reagierte auf den Rückzug mit "Enttäuschung". Dieser
Schritt sei "verantwortungslos und unseriös".
Der Friedensimplementierungsrat ist ein internationales Gremium, das die Umsetzung des Dayton-Abkommens zur Beendigung des Bosnien-Kriegs überwacht. Er unterstützte das Vorgehen Lajcaks genauso wie die führenden Parteien der Bosniaken und der bosnischen Kroaten.
Der Justizminister der bosnischen Serbenrepublik (Republika Srpska), Dzerald Selman, erklärte unterdessen, die Standpunkte von Rechtsexperten seines Landesteils (Entität) und des Büros des Internationalen Beauftragten (OHR) bezüglich der jüngsten Anordnungen Lajcaks hätten sich mittlerweile angenähert.
Staatskrise mit Folgen
Die Staatskrise in Bosnien zieht
unterdessen weitere Kreise: Der serbische Präsident Boris Tadic schob ein
für den 11. November in Belgrad geplantes Treffen von NGOs aus Bosnien,
Kroatien, Serbien und Montenegro auf. Den Anlass dafür lieferte eine
Reaktion des Vorsitzenden des bosnischen Staatspräsidiums, Zeljko Komsic,
auf Äußerungen des serbischen Premiers Vojislav Kostunica. Kostunica hatte
den bosnisch-serbischen Ministerpräsidenten Milorad Dodik wegen dessen
heftiger Kritik an Lajcak in Schutz genommen. Der Kroate Komsic quittierte
dies mit den Worten, dass Kostunica seine Finger von Bosnien lassen solle.
Andernfalls könnte er "eins auf die Finger und die Nase bekommen".
Dodik sollte als Gast am Treffen der sogenannten Igman-Initiative, einer Koalition von rund 150 nichtstaatlichen Organisationen, in Belgrad teilnehmen. Kostunica beschuldigte den Internationalen Bosnien-Beauftragten, für eine "Vertiefung" der bosnischen Krise verantwortlich zu sein. Es wäre "am natürlichsten", wenn Lajcak seinen Rücktritt einreiche, fügte der serbische Ministerpräsident hinzu.