Unruhen in Tibet

Dalai Lama kündigt Rücktritt bei Gewalt an

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Die chinesische Staatsmacht will mit Razzien und Ultimaten die Proteste eindämmen. Die Rufe nach einem Olympia-Boykott werden immer lauter.

Der Dalai Lama hat seinen Rücktritt für den Fall angekündigt, dass die gewaltsamen Proteste von Tibetern gegen die chinesische Fremdherrschaft außer Kontrolle geraten sollten. Das seit seiner Flucht im März 1959 in Indien im Exil lebende Oberhaupt der Tibeter hat seine Landsleute zu Zurückhaltung aufgerufen. Falls die Gewalt außer Kontrolle gerate, hätte er nur die Wahl zurückzutreten, sagte der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, am Dienstag in Dharamsala.

Ein ranghoher Berater in Dharamsala präzisierte wenig später die Äußerungen des Dalai Lama. "Sollten die Tibeter den Weg der Gewalt wählen, müsste er zurücktreten, denn er ist völlig der Gewaltfreiheit verpflichtet", erklärte Tenzin Tahkla. "Er würde als politischer Führer und Staatsoberhaupt zurücktreten, aber nicht als Dalai Lama. Er wird immer der Dalai Lama bleiben."

China macht Dalai Lama verantwortlich
Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao hat die Niederschlagung der Proteste in Tibet verteidigt. Zugleich machte Wen am Dienstag bei einer Pressekonferenz den im Exil lebenden Führer der Tibeter, den Dalai Lama, für die Unruhen verantwortlich, bei denen Dutzende Menschen getötet worden sein sollen.

"Es gibt genug Tatsachen und reichlich Belege, dass dieser Vorfall von der Clique des Dalai Lama organisiert, vorsätzlich geplant, gesteuert und angestachelt wurde", sagte der chinesische Regierungschef. Dies entlarve auch die Beteuerungen des Dalai Lama als Lüge, er strebe einen friedlichen Dialog an und keine Unabhängigkeit. Den Vorwurf, China begehe in Tibet möglicherweise einen "kulturellen Völkermord", wies Wen als "nichts als Lügen" zurück.

Diskussionen um Olympia-Boykott
Die blutigen Auseinandersetzungen in Tibet haben eine Diskussion über einen Boykott der Olympischen Spiele ausgelöst. Während sich Regierungspolitiker und Sportfunktionäre ablehnend äußerten, riefen Menschenrechtler zu einem Verzicht auf die Teilnahme an den im August stattfindenden Olympischen Spielen in Peking auf. Bei den blutigen Protesten in Tibet sind nach Angaben des tibetischen Exilparlaments mehrere hundert Menschen getötet worden. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte ein Ende der Gewalt. Kritik gab es auch an der Ausweisung von Journalisten durch China.

Breite Ablehnung bei Sportfunktionären gegen Boykott
Forderungen nach einem Olympia-Boykott stießen am Montag auf breite Ablehnung. "Ich bin gegen einen Boykott", erklärte der slowenische Sportminister Milan Zver, Vorsitzender der EU-Sportministerkonferenz in Brdo bei Kranj (Krainburg) ."Wenn die Olympischen Spiele nicht stattfinden, können sie gar nichts bewirken", sagte auch der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble. Sport-Staatssekretär Reinhold Lopatka bezeichnete einen Boykott als "falschen Weg" und wies darauf hin, dass der Sport ein "Motor für Menschenrechte" sei.

"Wir werden natürlich teilnehmen. Für uns hat die Politik damit nichts zu tun, so sehr ich es bedauere, dass dort Menschenrechte nicht richtig behandelt werden", sagte auch der Präsident des Österreichischen Olympischen Komitees (ÖOC), Leo Wallner, im ORF. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) äußerte sogar die Hoffnung, dass der von Peking geplante Lauf mit der Olympischen Fackel durch Tibet wie geplant stattfinden werde.

Menschenrechtsorganisationen für Boykott
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte rief dagegen "alle friedliebenden Menschen" auf, auf "den Besuch oder die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Peking im August diesen Jahres zu verzichten". Die Menschenrechtsorganisation amnesty international forderte internationalen Druck auf China, um die Situation bis zu den Spielen "nachhaltig" zu verbessern. Das Vorgehen Pekings in Tibet bestätige Befürchtungen, dass Olympia nicht automatisch zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage in China führe.

Berichte über hunderte Tote
Seit Beginn der Unruhen in der Hauptstadt Lhasa und anderen Regionen habe es Hunderte von Toten gegeben, erklärte das tibetische Exilparlament im indischen Dharamshala. Der von Peking eingesetzte Präsident der autonomen Region Tibet, Qiangba Puncog, betonte hingegen, die chinesischen Sicherheitskräfte seien nicht mit Waffengewalt gegen die Demonstranten vorgegangen. Dagegen hätten "tibetische Aufständische" dreizehn "unschuldige Menschen" getötet. Inzwischen sind praktisch keine ausländischen Journalisten mehr in Tibet, so dass eine Überprüfung der Zahlen unmöglich ist. Ein Sprecher des US-Außenministeriums nannte die Ausweisung ausländischer Journalisten "beunruhigend und enttäuschend". Scharfe Kritik an der Einschränkung der Medienfreiheit durch Peking übte auch "Reporter ohne Grenzen" (RSF). Die Organisation sprach von 25 Journalisten, die in den vergangenen Tagen aus Tibet ausgewiesen wurden.

Internationale Untersuchung abgelehnt
Der chinesische Außenamtssprecher Liu Jianchao betonte, dass die Sicherheitskräfte ein "Höchstmaß an Zurückhaltung" an den Tag legten. Er lehnte eine internationale Untersuchung der Vorgänge in Tibet ab und warf dem Dalai Lama, dem religiösen Oberhaupt der Tiber vor, hinter den Protesten zu stecken. Er verbreite "eine Menge Lügen und führt die Medien und die Öffentlichkeit in die Irre", so Liu. In den eigenen Reihen sieht sich der Dalai Lama indes mit Kritik konfrontiert, weil er sich gegen einen Olympia-Boykott ausgesprochen hat. "China verdient es nicht, die Olympischen Spiele auszurichten", sagte der Anführer des Tibetischen Jugendkongresses, Tsewang Rigzin, am Montag im indischen Dharamshala. Der Dalai Lama hatte am Sonntag gesagt, China sollte daran erinnert werden, ein "guter Ausrichter" der Olympischen Spiele zu sein.

Ban fordert Zurückhaltung
UNO-Generalsekretär Ban forderte in seiner ersten Reaktion auf die Unruhen die chinesische Regierung zur Zurückhaltung im Umgang mit den Protesten auf. Alle Beteiligten sollten weitere Konfrontationen vermeiden, sagte er am Montag in New York. EU-Chefdiplomat Javier Solana rief Peking auf, "die kulturelle Autonomie in Tibet" zu respektieren. Dagegen bekundete Russland Unterstützung für das chinesische Vorgehen in Tibet. In Österreich kritisierten SPÖ, Grüne und BZÖ die Gewaltanwendung durch die chinesische Führung. In München wurden 26 Tibeter festgenommen, nachdem sie das chinesische Generalkonsulat angegriffen hatten. Auch in Nepal und Indien gab es am Montag Demonstrationen gegen die Fremdbestimmung der 1950 von China besetzten Region.

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