Sachsen & Thüringen

Deutschland vor Erdrutsch: Durchbruch der AfD im Osten

01.09.2024

Favoriten-Sieg: Diesen Sonntag wählen die deutschen Bundesländer Sachsen & Thüringen.  

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© APA/AFP/JENS SCHLUETER
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Es sind Schicksalstage für Politik und Stimmung in Deutschland: In den ehemaligen Ost-Bundesländern Sachsen und Thüringen werden dieses Wochenende die Land­tage neu gewählt. Am 22. September folgt schließlich Brandenburg.

AfD extrem stark

In allen drei Ländern ist die AfD extrem stark vertreten, könnte sogar den Ministerpräsidenten stellen. Die Ampelparteien (SPD, Grüne, FDP) sind im Osten kein Faktor.
Für viele Beobachter wäre ein klarer AfD-Sieg ein kapitaler Sturz über die politische Abbruchkante, ein Erdrutsch und Tabubruch, die Brandmauer gegen Rechts in Deutschland wäre weg.

Tatsache ist, dass die AfD noch immer vom deutschen Verfassungsschutz observiert wird, weil sie verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, heißt es.
Björn Höcke (52), AfD-Spitzenkandidat in Thüringen, gilt als umstritten: radikal, Dauer-Provokateur. Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, bezeichnete ihn sogar offen als Rechtsextremisten.

Björn Höcke: Radikal und Wahl-Favorit

Regelmäßig hetze Höcke gegen Einwanderer, drischt verbotene Parolen der Nazis, stand deshalb bereits mehrfach vor Gericht: „Alles für Deutschland“, die Losung der Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialistischen Partei NSDAP, baute er gleich mehrmals in Reden ein.

In Erfurt, Leipzig, Dresden gingen zuletzt Tausende gegen Rechtsextremismus und für eine starke Demokratie auf die Straße: „Wir sind die Brandmauer“, skandierten sie, forderten „Herz statt Hetze“.

Bündnis Sahra Wagenknecht aktiv

In der Wählergunst gab es für die AfD dennoch keinen Absturz: In der letzten Forsa-Umfrage für „Stern“, RTL und n-tv lag die AfD in Thüringen mit etwa 30 Prozent der Stimmen unangefochten auf Platz 1 – gefolgt von der CDU mit 21 Prozent. An dritter Stelle rangiert das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die Bewegung der Ex-Paradelinken, eine weitere Protestpartei.

Blitzheilung

Journalisten sind Höcke egal, auf AfD-Wahlpartys sind kritische Stimmen ausgeladen. Die wichtigste TV-Schlacht vor den Ost-Wahlen schwänzte er „gesundheitsbedingt“. Ein Virus habe ihn flachgelegt, sagte er. Einen Tag nach der Absage stand Höcke schon
wieder „quicklebendig“ auf einer Wahlkampfbühne.

Thüringen dürfte die AfD klar gewinnen. In Sachsen, das seit 2019 von einer Koalition aus CDU, SPD und Grünen regiert wird, liefern sich CDU und AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen: AfD 32 Prozent, CDU 30.

Polarisierung

Die Landtagswahlen sind nun die große Abrechnung des Ostens mit der Ampel-Regierung: Migration, Ukraine-Hilfe, Angst vor der Zukunft: „Es ist nicht die Lage, sondern vielmehr ein Gefühl und vielleicht auch eine verzerrte Wahrnehmung, die die Wähler zur AfD treiben“, sagt Professor Marcel Thum, Geschäftsführer des ifo-Instituts Dresden.

Die wichtigste Erklärung für die Stärke der AfD ist somit die Demografie: Mit Ausnahme der Städte Leipzig oder Dresden leidet der Osten unter Bevölkerungsschwund – minus 15 Prozent. Millionen Junge sind weg. Und populistische Parteien finden vor allem in jenen Regionen Zuspruch, in denen eine hohe Zahl älterer Wahlberechtigter lebt und in denen die Menschen mit wenig Zuversicht in die Zukunft schauen.

Selbst 34 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung herrscht in den fünf ostdeutschen Bundesländern ein allgemeines Gefühl der Benachteiligung gegenüber dem Westen: „Die AfD ist die Rache des Ostens“, so Theaterregisseur Frank Castorf. Sie ist der „Stinkefinger für realitätsferne West-Parteien“.   

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