Die Türkei will die Zusammenarbeit mit der EU reduzieren. Die Reaktion, "Plan B", wird vorbereitet.
Während in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU über die Zukunft des Erweiterungsprozesses berieten und die Verlangsamung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei absegneten, legten in Ankara hohe Beamte des türkischen Außenministeriums letzte Hand an das, was türkische Politiker den "Plan B" nennen. Die Türkei will die Entscheidung der EU, acht Verhandlungskapitel wegen des Streits um die Hafenöffnung für Zypern auf Eis zu legen, nicht ohne Gegenreaktion hinnehmen. Offiziell wird über "Plan B" nichts mitgeteilt. Nach Berichten mehrerer Zeitungen und Fernsehsender sieht das Vorhaben im Grundsatz vor, die Kontakte der Türkei mit der EU zu reduzieren, ohne den Beitrittsprozess völlig einzustellen. Hauptmotiv Ankaras: Die Europäer sollen spüren, welche Folgen eine Zurückweisung der Türkei haben kann.
Plan "B" oder "C"
Schon vor zwei Wochen hatte
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erklärt, seine Regierung habe einen
"Plan B" und auch einen "Plan C", um angemessen auf die Strafmaßnahmen der
EU im Hafenstreit reagieren zu können. An die Öffentlichkeit gehen wollte
die Regierung mit ihren Plänen aber erst nach Vorlage der Brüsseler
Gipfelbeschlüsse.
Kontakte vermeiden
Einige Maßnahmen im Rahmen von "Plan B" haben
vor allem symbolische Bedeutung. So wird Ankara möglicherweise bis auf
weiteres hochrangige Kontakte mit Brüssel vermeiden. Allerdings wollen die
Türken den Meldungen zufolge sorgsam darauf achten, dass sie sich mit ihren
Sanktionen gegen die EU nicht am Ende ins eigene Fleisch schneiden. Deshalb
stehen beim "Plan B" Maßnahmen im Mittelpunkt, die den Europäern größeren
Ärger bereiten als der türkischen Seite.
Keine Hilfe bei Flüchtlingen
So erwägt die
Erdogan-Regierung, die Zusammenarbeit mit der EU in der Flüchtlingspolitik
herunterzufahren. Das könnte für westeuropäische Länder spürbare Folgen
haben, denn die Türkei ist ein Transitland für jährlich hunderttausende
Flüchtlinge aus Asien und Afrika, die in den Westen wollen. Auch die
Kooperation im Energiesektor könnte eingeschränkt werden, heißt es in den
Zeitungen; neue Pipeline-Projekte machen aus der Türkei ein wichtiges
Durchgangsland für Öl und Gas aus Zentralasien und könnten dabei helfen, die
Abhängigkeit Europas von Energielieferungen aus Russland zu reduzieren. Auch
die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Rauschgifthandel könnte von Ankara
eingeschränkt werden.
Nato-Veto-Recht
Zudem wird Ankara möglicherweise das türkische
Veto-Recht in der NATO benutzen, um die Kooperation zwischen der EU und der
Allianz bei Auslandseinsätzen zu erschweren. Dies betrifft vor allem die
Regelung, dass die EU bei solchen Einsätzen auf Militärausrüstung und die
Infrastruktur der NATO zurückgreifen könnte.
Bekanntgabe nach EU-Gipfel
Am Freitag war noch unklar, welche der
angedachten Schritte nach dem "Plan B" verwirklicht werden solle, und wann
die Türkei mit ihren Sanktionen beginnen will. In einigen Berichten aus
Ankara hieß es, die Pläne würden unmittelbar nach dem Brüsseler Gipfel
veröffentlicht. Möglich ist aber auch, dass Ankara noch abwartet, um einige
für die Türkei positive Entwicklungen nicht zu stören. So hat die
EU-Kommission in Aussicht gestellt, schon kommende Woche über die Eröffnung
von vier neuen Verhandlungskapiteln zu entscheiden, die nicht von der
Teilsperre der Gespräche betroffen sind. Dies soll den Türken signalisieren,
dass sich der Beitrittsprozess zwar verlangsamt, aber trotzdem weitergeht.
Eventuell doch Kompromiss?
Zudem stehen beim ersten
EU-Außenministertreffen unter deutscher Ratspräsidentschaft im Jänner neue
Beratungen über eine Lockerung des Handelsembargos gegen den türkischen Teil
Zyperns an. Sollte die EU den türkischen Zyprern den Direkthandel mit Europa
erlauben, würde das für die Erdogan-Regierung den nötigen innenpolitischen
Spielraum schaffen, um zumindest einige türkische Häfen für die griechischen
Zyprioten zu öffnen.
Allerdings ist die Türkei sehr misstrauisch. In Ankara machen Meldungen die Runde, die griechischen Zyprioten wollten den Handel zwischen dem türkischen Inselteil und der EU zwar nicht mehr blockieren, die Ein- und Ausfuhren des türkischen Sektors aber nur über griechisch-zypriotische Häfen abwickeln lassen. Angeblich gibt es sogar schon eine Grundsatzeinigung zwischen Nikosia und der kommenden deutschen Ratspräsidentschaft. Das türkische Außenministerium lehnte ein solches Modell am Freitag sofort ab, und auch von den türkischen Zyprern kam ein Nein. Schließlich wäre ein Handelsweg über das Gebiet der griechischen Republik Zypern aus türkischer Sicht kein "Direkthandel".