Bestsellerautor Andreas Salcher traf in Oxford auf Julian Assange.
Es war Anfang Juli dieses Jahres, als ich in Oxford an der elitären TED-Global-Tagung teilnahm. Hier tauschen rund 1.000 Fachleute aus unterschiedlichsten Gebieten Ideen aus. Wer teilnehmen möchte, muss eingeladen werden (www.ted.org). Nach einer Konferenz gab es eine kryptische Ankündigung. Sie lautete ungefähr so: Nach einer kurzen Pause wird es einen Überraschungsgast geben, wir können aber nicht verraten, wer es ist. Aber er ist sehr interessant – es lohnt sich zu kommen.
Mysteriöser Überraschungsgast
Mehr erfuhren die Konferenzteilnehmer nicht. Im Saal warteten wirklich 300 Menschen, ich saß in der achten Reihe und hatte eine gute Sicht auf die Bühne. Plötzlich wurde ein Mann begrüßt, dessen Name Julian Assange war. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, wer der Mann mit dem schlohweißen Haar war. Ich fragte meine Sitznachbarn zur Rechten und Linken, wer denn der Überraschungsgast sei? Und wurde auch prompt belehrt: "Das ist der WikiLeaks-Gründer.“ In Großbritannien waren Assange und WikiLeaks offenbar schon ein Begriff.
"Schau dir diese toten Bastards an"
Assange war mir nicht auf Anhieb sympathisch. Ich wunderte mich, wie ein so junger Mensch mit 39 Jahren eigentlich so alt aussehen kann. Nach etwa fünf Minuten Interview wurde eine kurze, aber schauerliche Szene aus dem mittlerweile weltweit bekannten Irak-Video gezeigt. Mit dieser Aufdeckung schaffte es WikiLeaks erstmals in die Headlines und wurde weltberühmt. Auf dem Video sieht man, wie die US-Armee einen Hubschrauberangriff auf irakische Zivilisten und zwei Reuters-Reporter ausführt. "Schau dir diese toten Bastards an“, ist auf den Aufnahmen zu hören. Diese Bilder gingen wirklich unter die Haut. Die abfälligen Live-Kommentare der US-Soldaten waren mithin das Schlimmste im Video.
20-Minuten-Interview
Da hat es bei mir Klick gemacht und ich hatte von einer Sekunde auf die andere meine Meinung über Julian Assange verändert. Anschließend wurde er gefragt, warum er solche Videos veröffentlicht? Seine Antwort war unheimlich intelligent und beeindruckte mich. "Die Menschen in Irak und in Afghanistan sehen dieses Video nicht, sie erleben es jeden Tag. Für die Welt ist es eine Veränderung, wenn die Amerikaner verstehen, dass sie dafür zahlen, was hier passiert.“ Da erkannte ich aber auch, wie explosiv Assange für die Welt ist. Das Interview dauerte etwa 20 Minuten. Jeder Satz von ihm hatte Gewicht. Seine Antworten waren immer sehr kurz und pointiert. Man spürte mit jedem Wort: Dieser Mann ist ein Überzeugungstäter. Es wurde mir klar, dass eine moderne Demokratie einen Aufdecker wie Assange aushalten muss.
Auf 37 verschiedenen Schulen
Beeindruckend war auch, wie Julian Assange schilderte, welche Methoden WikiLeaks anwendet, um die zugespielten Infos und Dokumente zu überprüfen. Sie arbeiten mit vielen Experten zusammen, um die Plausibilität der Schriftstücke zu checken. Um die Persönlichkeit von Julian Assange zu verstehen, muss man seine private Geschichte kennen. Auch davon erzählte er viel bei dieser Konferenz in Oxford. Er war von Kindesbeinen an immer auf der Flucht. So besuchte Assange etwa 37 verschiedene Schulen. Seine Eltern arbeiteten im Film-Business und waren sehr reiselustig, erzählte Assange. "Wenn man so oft umzieht und die Schulen wechselt, wird man schon bisschen paranoid“, sagte er offen. Und eines war nicht zu übersehen: Schon damals, als Assange weit entfernt vom globalen Superstar war, hatte er offenbar schon Angst um sein Leben. Denn als das Interview zu Ende war, ging plötzlich das Licht aus und mit einem Mal war Julian Assange weg. Er erschien und ging wie ein Phantom.