Die Eidgenossen zieren sich trotz aller Belehrungen weiterhin.
Die Europäische Union will die Schweiz als Mitglied, aber die Mehrheit der Eidgenossen will dem Werben (noch) nicht nachgeben. In diesen Tagen, in denen Europa um die Zukunft des Euro ringt, fühlen sich die Schweizer nicht besonders wohl. Denn nicht nur, dass der Franken immer härter - und damit Waren aus der Schweiz immer teurer werden. Auch Brüssel droht mittlerweile, der Schweizer Sonderweg werde in eine Sackgasse führen. Faktisch ist die Schweiz mit der EU durch bilaterale Verträge so eng verwoben, dass das schon fast einer Mitgliedschaft gleichkommt. Aber die Schweiz kann und muss nicht mitbestimmen - und damit auch kaum die Folgen von Krisen tragen.
Juncker fordert Beitritt
Es ist schon - zumindest aus Schweizer Sicht - so etwas wie ein unsittliches Angebot, das der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" den Eidgenossen gemacht hat. Der "weiße Fleck auf der europäischen Landkarte" sei ein "geostrategisches Unding", erklärte er in einem Interview. "Ich wünsche mir einen EU-Beitritt der Schweiz, auch wenn ich weiß, dass dies dem Volkssouverän immer noch widerstrebt", sagte Juncker.
Hälfte der Schweizer dagegen
Das stimmt. Noch im März war fast die Hälfte der Bevölkerung laut Umfragen gegen einen Beitritt. Nur gerade mal 16,5 Prozent wollen jetzt und sofort EU-Mitglied werden. Und es sind viele Jüngere, die die Mitgliedschaft ablehnen. Über 40 Prozent sind zwar nicht grundlegend gegen einen EU-Beitritt, aber die meisten spielen auf Zeit.
Zu den Befürwortern eines schnellen Beitritts gehört der frühere Verkehrsminister und Sozialdemokrat Moritz Leuenberger, der jetzt schon bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin im Kuratorium sitzt. "Der EU-Beitritt wird kommen - nicht morgen, aber übermorgen", hält er immer wieder fest und kündigt auch an, dass die Sozialdemokratische Partei (SP) dies zum Thema des Wahlkampfs im kommenden Jahr machen wird. "Wieso versuchen wir nicht, unseren Kontinent mitzugestalten?"
SVP als zentraler EU-Gegner
Juncker hat die EU-Gegner in der Schweiz schnell ausgemacht. Er sieht sie bei der größten Partei des Landes, der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP). Die Sieger der jüngsten Volksabstimmung über die Abschiebung krimineller Ausländer sind strikt gegen einen EU-Beitritt. Ihnen passt auch der jüngste Beitritt der Schweiz zum Schengen-Abkommen über den freien Grenzübertritt grundsätzlich nicht, obwohl die Eidgenossenschaft seitdem im Kampf gegen Kriminalität deutlich profitiert hat. "Wer überall austritt, wird eines Tages allein sein", meinte Juncker. Deshalb sei die SVP-Position "grundsätzlich eine rückwärtsgewandte und perspektivlose."
Drohgebärden lassen Schweizer zusammenrücken
Mit ihrer EU-Skepsis steht die SVP aber nicht allein. Die jüngsten Drohgebärden der EU führen auch zu einem Zusammenrücken, wie sich aus den Kommentaren und Blogs in den Medien ablesen lässt. Ein Papier der EU-Außenminister, in dem von der Schweiz mehr Zusammenarbeit verlangt wird, hat für viel Unruhe gesorgt. Kritisiert wird von Brüssel, dass die Schweiz EU-Recht nicht schnell und buchstabengetreu übernähme. Und dann wird natürlich gegen die Steuerpolitik der Kantone gewettert, die als Steuerkonkurrenz für den EU-Raum angesehen werden. Die bisherigen Abstimmungen zu den Beziehungen Schweiz-EU zeigen aber, dass die Bevölkerung den Beitritt nicht will. Die Schweiz ist nicht dem Europäischen Wirtschaftsraum EWR beigetreten, weitere Abstimmungen fielen negativ aus. Dagegen stimmten die Schweizer immer für Sonderabkommen und auch für den Schengenbeitritt sowie die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten in Ost-und Südeuropa. Diese "Rosinenpickerei", wie es aus dem EU-Raum schallt, soll nun beendet werden, finden Politiker in Brüssel.
"Rücksichtslos, selbstherrlich und unsolidarisch"
Der SP-Parlamentarier Andreas Gross sieht eine ernste Lage: "Der veränderte Tonfall ist ein Ausdruck davon, dass die Schweiz in der EU als rücksichtslos, selbstherrlich und unsolidarisch angesehen wird", sagte er dem Onlinedienst der "Basler Zeitung". "Die EU will keine Sonderzüge. Die Schweiz beteiligt sich zu wenig an den Lasten." Andere machen die wirtschaftlichen Probleme der EU als Grund für die neuen Töne aus Brüssel aus. "Die EU will nur unser Geld", heißt es. Immerhin sitzt die Schweizerische Nationalbank auf über 250 Milliarden Franken (196 Mrd. Euro) an Währungsreserven - das meiste davon Euro.