Kambodscha
Ex-Khmer-Führer wegen Völkermordes vor Gericht
19.11.2007
Der ehemalige Staatspräsident Khieu Samphan wurde von 30 bewaffneten Sicherheitskräften festgenommen. Vorher war er wegen Bluthochdrucks im Krankenhaus.
Am Dienstag wird in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh etwas geschehen, auf das Zigtausende Kambodschaner seit Jahrzehnten warten: Erstmals muss einer der mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für die Gräueltaten des Terrorregimes der Roten Khmer in öffentlicher Anhörung vor Gericht erscheinen. Eine Ahndung oder Aufklärung der Verbrechen hat fast dreißig Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft des "Steinzeitkommunisten" Pol Pot, die bis zu zwei Millionen Menschen das Leben gekostet hat, nicht stattgefunden. Doch das Völkermordtribunal, das am Montag in spektakulärer Weise den ehemaligen Staatschef Khieu Samphan festnehmen ließ, will für Abhilfe sorgen.
Formalitätenstreit
Im Sommer vergangenen Jahres nahm das
Rote-Khmer-Tribunal die Arbeit auf. Dem ehemaligen Leiter des berüchtigten
Verhör- und Folterzentrums Tuol Sleng, Kang Kek Ieu, genannt "Deuch" (Duch),
soll nun als erstem der Prozess gemacht werden. Dem 65-jährigen Angeklagten
werden schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. In Tuol Sleng
sollen 16.000 Männer, Frauen und Kinder gefoltert und dann auf den "Killing
Fields" bei Phnom Penh ermordet worden sein. Den Folter- und Mordvorwürfen
muss sich Duch bei der Anhörung am Dienstag jedoch noch nicht stellen:
Zunächst geht es um die Frage, ob seine möglicherweise unrechtmäßige
Inhaftierung durch ein Militärgericht seit 1999 eine weitere Verlängerung
der Untersuchungshaft verhindert.
"Eher unspektakulärer" Prozess
Jürgen Assmann, der
im Auftrag des deutschen Zentrums für Internationale Migration und
Entwicklung (CIM) die kambodschanische Chefanklägerin Chea Leang berät,
erwartet einen "eher unspektakulären" Austausch juristischer Argumente.
Allerdings handelt es sich um die erste öffentliche Verhandlung vor dem
Rote-Khmer-Tribunal. Im Gerichtssaal sind mehrere hundert Plätze für
Journalisten und interessierte Bürger reserviert; die Anhörung wird live von
Radio und Fernsehen übertragen. "Die Öffentlichkeit hat große Erwartungen",
sagt Assmann. Nun könnten die Kambodschaner das Gericht endlich in Aktion
sehen - auch wenn die Ermittlungen noch in vollem Gange seien. Die
Hauptverhandlung soll frühestens Anfang 2008 beginnen. Dass die vorgesehenen
drei Jahre und das Budget von rund 56 Millionen Dollar (rund 38 Millionen
Euro) für die Prozesse nicht ausreichen werden, steht bereits fest.
"Bruder Nummer ein" Pol Pot bereits tot
Die fünf bisher
identifizierten Hauptverantwortlichen für die Verbrechen sind nunmehr in
Haft. Bei den Angeklagten handelt es sich außer um Duch um den ehemaligen
Chefideologen Nuon Chea, sowie um das erst vor einer Woche festgenommene
Ehepaar Ieng Sary, Ex-Außenminister, und Ieng Thirith, Ex-Sozialministerin.
Allen Dreien werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, Ieng
Sary außerdem Kriegsverbrechen. Die Anklagepunkte gegen den 76-jährigen
Khieu Samphan, der nach einem Krankenhausaufenthalt festgenommen wurde,
stehen noch nicht fest. Diktator Pol Pot selbst - als "Bruder Nummer eins"
der unangefochtene Führer der Roten Khmer - starb 1998 in einem
Dschungelversteck nahe der thailändischen Grenze.
Modell-Verfahren
Im In- und Ausland besteht die Hoffnung, dass
das Tribunal nicht nur Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit bringt, sondern
auch zum Modell für die Entwicklung eines unabhängigen Justizsystems und
einer rechtsstaatlichen Kultur in Kambodscha wird. Sechs Berater des
Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) beraten einheimische Organisationen,
die vor Gericht für die Opfer des Anfang 1979 durch eine vietnamesische
Militärintervention gestürzten Regimes sprechen wollen. Diese Beteiligung
der Opfer hält der DED-Koordinator Andreas Selmeci für besonders wichtig.
"Vielen von ihnen war es in den Jahrzehnten nach den Roten Khmer nahezu
unmöglich, über die Ereignisse zu sprechen - selbst in der Familie", sagt
der 44-Jährige. Offiziell endete die 1975 begonnene Herrschaft der von China
unterstützten Roten Khmer zwar mit der Befreiung durch die Vietnamesen im
Jänner 1979. De facto beherrschten die Roten Khmer manche Gegenden des
Landes aber noch bis Ende der 1990er Jahre. Und auch heute noch leben
ehemalige Peiniger Seite an Seite mit den Familien ihrer Opfer.