Land ist polarisiert

Expertin bei ZIB2: "Anschlag war Weckruf für ganz Europa"

16.05.2024

Die Politologin und Soziologin Anna Durnova von der Uni Wien sprach im ZiB2-Studio nach dem Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico über die politische Situation im Land. 

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Der slowakischen Politologin Anna Durnova nach sei es gefährlich, einen Einzelfall wie den Anschlag auf Fico als reinen Einzelfall zu betrachten. Genauso gefährlich sei es aber auch, eine gesellschaftliche Stimmungslage als homogen zu sehen - und diese als einzigen Faktor für eine Einzeltat zu nehmen. Denn: "Sie wird sicher nicht ohne unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen stattfinden können." Dieser Auseinandersetzung gelte es nun gesellschaftlich, politisch, aber auch wissenschaftlich nachzugehen und sie zu erklären. "Aus Sicht der politischen Soziologie kann man sagen, dass sich die Gesellschaft und die politische Situation radikalisiert", so Durnova. Es gäbe sehr viel verbale Gewalt – im Netz sowie offline, verbal und physisch.

Anschlag war Weckruf für ganz Europa

Der Anschlag auf Fico sei ein Weckruf gewesen, nicht nur für die Slowakei, sondern für ganz Europa. Laut Durnova sei die Slowakei gesellschaftlich wie politisch enorm polarisiert, weit mehr als anderswo in Europa. Der geschürte Hass sei ganz klar von den Politikern ausgegangen. Trotzdem sei zu sagen, dass Taten wie diese auch in anderen Gesellschaften passieren könnten. Warum? Weil die heutige Zeit hochindividualisiert und gleichzeitig von multiplen Krisen geprägt sei. Durnova: "Es ist viel los auf ganz vielen Ebenen. Die Stimmung ist heftig." Um diese zu mäßigen, gelte es nun, den Weckruf ernst zu nehmen. Das sei aber nur ein erster und sicher nicht der einzige Schritt.

Mehr Nähe bringt mehr Niederschwelligkeit

Politik sei Durnova nach heftiger und näher geworden. Das Attentat auf Fico wäre auch just diesem Kontext passiert: Fico wollte mehr Nähe schaffen und sich aufs Volk zubewegen. Diese Nähe, offline wie online, bringe jedoch eine gewisse Niederschwelligkeit mit sich. Politiker würden angebrüllt, ausgepfiffen und eben auch beschossen. "Das ist etwas, worüber wir reden müssen. Was für eine Welt haben wir hier geschaffen? Wo setzen wir welche Grenzen zu einer Diskussion, die nahe ist und im Grund gar keine Grenzen setzen möchte?" Alle Fragen seien erlaubt, aber gleichzeitig sei zu sehen, wie der Diskurs in aus dem Ruder laufe. "Das ist kein slowakisches, sondern ein europäisches Problem." Klimakrise, Post-Pandemie, EU-Wahlkampf – all das sorge für eine emotionale und heftige Stimmung, die Ängste und Frustration hervorruft. Das gelte es zu bearbeiten und aufzuarbeiten - als Politiker, als Journalisten und auch als Sozialwissenschafter.

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Woher kommt der Hass?

Doch woher kommt der Hass? Das sei eine zutiefst soziale Frage. Weiters sei zu eruieren, welche Umgebung diese Ängste schürt, was radikalisiert sie weiter? Durnova sieht hier die Politiker und auch die Medien in der Pflicht, indem eine polarisierende Logik zwar gelebt, aber nicht korrigiert wird. "Wir sind dazu geneigt, diese Phänomene in Pro-und-Kontra, also in Schwarz-und-Weiß zu malen. Damit vergessen wir aber die Komplexität eines Phänomens, wodurch eine gegenseitige Hetze entsteht. Wenn wir also zwei Lager aufbauen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Leute das ernst nehmen und sehr persönliche, radikale Konsequenzen setzen", so die Politologin. 

Jenseits von pro und kontra

Durnova ist dafür, die aktuellen Konflikte auch jenseits der der Pro-und-Kontra-Logik anzusprechen. Es gelte, die Ursachen und Kontexte für verschiedene Positionen zu erheben. Es gehe um die Frage: Warum fühlen sich die Leute so? "Ein wichtiger Treiber in der slowakischen Diskussion ist der Ukraine-Krieg. Teile der Bevölkerung fürchten sich vor dem Krieg, die Situation nährt Ängste", so Durnova. Es brauche daher eine starke offene Diskussion, weil die Gesellschaft aufgeteilt sei."Wir sollten uns alle als Bürger in die Pflicht nehmen und über andere Positionen nachdenken, etwa am Familientisch - auch weg vom Smarthone und der digitalen Diskussion."
 

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