Neuregelung nötig
Gericht: Hartz 4 verfassungswidrig
09.02.2010
Die Zahlungen verstoßen gegen das deutsche Grundgesetz. Sie sind nicht transparent genug.
Die deutsche Regierung muss die sogenannten Hartz-IV-Regelsätze für bedürftige Kinder und Erwachsene neu berechnen. Die bisherige Regelung verstoße gegen die Verfassung, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag. Die Berechnung sei nicht transparent genug, befanden die höchsten Richter. Das Gericht forderte den Gesetzgeber auf, bis zum 31. Dezember eine an der Realität orientierte Neuregelung zu schaffen. Ob Bezieher des sogenannten Arbeitslosengeldes II deshalb mehr Geld bekommen müssen, ließ das Gericht jedoch offen.
Grundsätzlich muss aber bei einer der größten Sozialreformen in der deutschen Nachkriegsgeschichte erheblich nachgebessert werden. Sozialverbände, Kinderschutzbund und Gewerkschaften begrüßten das Urteil.
"Hartz IV" - benannt nach dem früheren VW-Manager und Kanzler-Berater Peter Hartz - ist in Deutschland der gängige Name für ein Programm zur Unterstützung von Langzeitarbeitslosen. Landesweit erhalten etwa 6,5 Millionen Menschen Hartz-IV-Leistungen. Dazu zählen Langzeitarbeitslose, deren Familienangehörige sowie Geringverdiener, die als sogenannte "Aufstocker" einen staatlichen Zuschuss zu ihrem mageren Arbeitslohn erhalten.
Der Hartz-IV-Regelsatz für Erwachsene liegt derzeit bei 359 Euro monatlich. Bei Kindern und Jugendlichen sind die Leistungen gestaffelt, und zwar ausgehend vom Regelsatz: Unter sechs Jahren gibt es 60 Prozent (215 Euro), unter 14 Jahren 70 Prozent (251 Euro), darüber 80 Prozent (287 Euro).
Bis zu einer Änderung bleibt die bisherige Regelung gültig. Ab sofort können Hartz-IV-Empfänger jedoch einen besonderen Bedarf geltend machen, der durch die bisherigen Zahlungen nicht gedeckt wird. Damit drohen dem ohnehin durch eine Rekordneuverschuldung von fasst 100 Milliarden Euro schwer gebeutelten deutschen Staat in diesem Jahr höhere Ausgaben für Hartz IV. Bisher waren dafür im Bundeshaushalt 2010 insgesamt 41,1 Milliarden Euro veranschlagt.
Die SPD sieht damit die Steuersenkungspläne von Union und FDP als überholt an. Das Urteil bedeute, dass der Staat noch mehr Geld als bisher für Sozialleistungen ausgeben werde, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. Sozialverbände und Betroffene hatten vor dem Urteil die Hoffnung geäußert, dass die Kinder von Hartz-IV-Empfängern deutlich mehr Unterstützung erhalten.
Die Hartz-IV-Reform war in Deutschland von Anfang an heftig umstritten. Sie war von der früheren rot-grünen Bundesregierung 2003 beschlossen worden und am 1. Jänner 2005 in Kraft getreten. Über den Bundesrat (Länderkammer) hatten aber auch auch die Unionsparteien an der Gesetzgebung mitgewirkt.
Mit der Reform waren die frühere Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zu einer gemeinsamen Leistung zusammengelegt worden, dem sogenannten Arbeitslosengeld II. Dieses war aber für viele betroffene Langzeitarbeitslose niedriger als die vorherige Arbeitslosenhilfe. Die Hartz-IV-Reform gilt als einer der Gründe, weshalb der SPD-Kanzler Gerhard Schröder 2005 die Bundestagswahl verlor und die Linke auch in Westdeutschland erstarkte.
Gegenwärtig erhalten Arbeitslose in Deutschland zunächst das Arbeitslosengeld I, das zwischen 60 und 67 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Es wird zwölf Monate lang bezahlt, bei älteren Arbeitslosen maximal 24 Monate. Danach bekommen alle Erwerbslosen - ganz unabhängig von ihrem früheren Einkommen - nur noch Hartz-IV-Leistungen.
In einer ersten Reaktion sprach das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF von einem wichtigen Schritt hin zu einer kindergerechten Gesellschaft. "Das Urteil weist den richtigen Weg für einen wirksameren Kampf gegen Kinderarmut", erklärte UNICEF-Geschäftsführerin Regine Stachelhaus. Der Armutsdruck sei vor allem für Kinder von Alleinerziehenden dramatisch. Höhere Regelsätze allein reichten jedoch nicht aus. "Es geht nicht nur darum, wie oft ein Kind neue Schuhe hat, sondern welchen Platz und welche Chancen ein Kind in der Gesellschaft hat. Die Politik muss jetzt endlich eine umfassende Strategie entwickeln, um zu vermeiden, dass Kinder oftmals schon sehr früh abgehängt und aus unserer Gesellschaft dauerhaft ausgegrenzt werden", erklärte Stachelhaus.
Von rund zwei Millionen Kindern und Jugendlichen, die mit nur einem Elternteil aufwachsen, müssten 34 Prozent oder fast 700.000 Kinder mit weniger als 60 Prozent des Äquivalenzeinkommens auskommen. Rund 350.000 verfügten sogar nur über weniger als 50 Prozent. Selbst wenn sie es schafften, berufstätig zu sein, sei es ihnen kaum möglich, der Armut zu entkommen. UNICEF forderte Bundesregierung, Länder und Kommunen auf, das Wohlbefinden und die Rechte der Kinder zum Maßstab ihrer politischen Entscheidungen zu machen.