Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union wollen trotz des Nein Irlands zum EU-Reformvertrag den Ratifizierungsprozess fortsetzen.
Eine Entscheidung über einen Ausweg aus dem Nein Irlands zum EU-Reformvertrag (Vertrag von Lissabon) wurde auf dem Gipfel in Brüsselauf Herbst vertagt. Zugleich legten sie am Freitag ein Bekenntnis ab, dass der Ratifizierungsprozess fortgeführt wird, nachdem Tschechien dazu eine spezielle Fußnote in der Abschlusserklärung zugebilligt wurde.
Irland lehnt zweites Referendum ab
Der irische Premier Brian
Cowen lehnte Spekulationen über ein zweites Referendum über den Vertrag von
Lissabon in seinem Land ab. Die durch die irische Ablehnung ausgelöste Krise
zog auch eine Debatte über die Aufnahme weiterer EU-Mitglieder nach sich.
Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (S) verwahrte sich gegen ein Junktim
zwischen der EU-Erweiterung und dem neuen EU-Vertrag.
Tschechien besteht auf Fußnote
Nach Vorbehalten vonseiten
Tschechiens hält nun eine Fußnote fest, dass in Tschechien das
Verfassungsgericht noch über den Lissabon-Vertrag entscheiden muss. Außerdem
wurde das Bekenntnis zur Weiterführung der Ratifizierung gegenüber einem
früheren Entwurf der Gipfelerklärung etwas schwächer formuliert als zunächst
vorgesehen.
Bisher haben 18 EU-Staaten den Lissabon-Vertrag ratifiziert, darunter Österreich. Am Freitag wurde bekannt, dass die Ratifizierung in Großbritannien noch von einem Urteil des Obersten Gerichtshofes abhängt. In Tschechien ist der Ratifikationsprozess unterbrochen, nachdem der Senat den Vertrag dem Brünner Verfassungsgericht zur Prüfung zuwies.
(c) AP
Debatte über künftige EU-Erweiterung
Rund um das
Schicksal des Reformvertrags entspann sich auf dem Gipfel eine Debatte über
künftige EU-Erweiterungen. "Ohne neuen Vertrag keine Erweiterung",
erklärte Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker. Ähnlich äußerte sich die
deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schon zuvor hatte der französische
Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der Anfang Juli die EU-Ratspräsidentschaft
übernimmt, gedroht, dass Paris ohne Lissabon-Vertrag keiner Erweiterung der
Union zustimmen werde.
EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner stellte dagegen im Einklang mit dem amtierenden slowenischen EU-Ratsvorsitz laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) fest, dass angesichts der Ungewissheit um die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags keine Gefahr für die Erweiterung der Union um Staaten des sogenannten Westbalkan bestehe. Außenministerin Ursula Plassnik (V) zeigte sich über die Diskussion beunruhigt und mahnte: "Kroatien und unsere Freunde am Balkan dürfen nicht zu Opfern des irischen Referendums werden." Gusenbauer verwies darauf, dass die EU-Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Türkei auf Basis des geltenden Nizza-Vertrages aufgenommen wurden, ohne dass die EU schon über eine vertragliche Neuregelung nachgedacht habe.
Gusenbauer mit vorgehen gegenüber Irland zufrieden
Es "wäre
nicht klug", jetzt Druck auf Irland auszuüben. Der slowenische Premier
und amtierende EU-Ratsvorsitzende Janez Jansa verteidigte neuerlich, dass es
keinen Zeitplan für die Lösung der neuen Vertragskrise nach dem Nein Irlands
zum Lissabon-Vertrag gesetzt wurde: Die EU-Chefs wüssten, dass der Ausweg
rasch gefunden werden müsse. Gleichzeitig müsse jedoch jedweder Druck
vermieden werden.
Energiepreise zweites großes Thema
Angesichts der dramatisch
gestiegenen Ölpreise wurde die Kommission laut Gipfelentwurf aufgefordert,
steuerliche Maßnahmen zu prüfen"um den plötzlichen Anstieg
des Erdölpreises abzumildern". Die Brüsseler Behörde soll demnach
bis zum nächsten EU-Gipfel im Oktober einen Bericht dazu erstellen. Zudem
soll die EU-Kommission "die Aktivitäten an den rohstoffbezogenen
Finanzmärkten, einschließlich des spekulativen Handels" und
ihre Folgen aufmerksam beobachten und dazu bis Dezember eine Bericht
liefern. Die Frage, wie den Preissteigerungen begegnet werden soll, blieb
zuletzt höchst kontroversiell.
Hohe Energiekosten abfedern
So lehnte Merkel den französischen
Vorschlag einer Deckelung der Mehrwertsteuer auf Mineralölprodukte ab.
Gusenbauer bekräftigte in Brüssel die Forderung nach einer europäischen
Steuer auf Spekulationen mit Rohstoffen, welche die Überhitzung der
Finanzmärkte drosseln könne. Gusenbauer sagte, er gehe davon aus, dass es
unter französischem EU-Vorsitz in diesem Jahr noch zu konkreten Maßnahmen
der EU gegen die hohe Inflation komme. Die EU betrete damit auch "Neuland".
Zum französischen Vorschlag einer Begrenzung der Mehrwertsteuer bei
Mineralölprodukten zeigte sich aber auch er skeptisch: Zum einen sei das
Mehrwertsteueraufkommen stark an die Haushaltseinkommen gekoppelt, zum
anderen bestehe die Gefahr, dass das nicht anderes wäre als eine staatliche
Preisreduktion, wobei die Gefahr bestehe, dass die Mineralölkonzerne dies
für sich in Anspruch nehmen.
Nachbarschaftspolitik und Reisesicherheit
Weitere Ergebnisse des
EU-Gipfels betreffen die Nachbarschaftspolitik sowie Reisesicherheit: So
billigten die Staats-und Regierungschefs nicht nur die Vorschläge der
EU-Kommission für die Schaffung einer Mittelmeer-Union; die EU-Kommission
soll zudem bis zum nächsten Frühjahrsgipfel im Jahr 2009 konkrete Vorschläge
für eine Partnerschaft mit Nachbarstaaten in Ost- und Südosteuropa ("Östliche
Partnerschaft") ausarbeiten. Bis Anfang 2010 soll die EU-Kommission
Vorschläge für ein Einreise-/Ausreise- und Registrierungssystem für Reisende
vorlegen. Weiters verständigte sich der Gipfel darauf, die Sanktionen gegen
Kuba aufzuheben, die bereits ausgesetzt waren.