Nationalismus

Hintergrund des Mordes an armenischem Journalisten geklärt

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Ein Extremist gab zu, den jugendlichen Täter zum Attentat an Hrant Dink angestiftet zu haben, um "die Ehre der Türkei" zu retten.

Nach dem Mord an dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink hat ein nationalistischer Extremist gestanden, Hintermann der Tat gewesen zu sein. Yasin Hayal sagte, er habe den am Wochenende festgenommenen Jugendlichen angestiftet. Laut der Zeitung "Hürriyet" gab der bereits wegen eines Anschlags auf ein McDonald's-Restaurant 2004 verurteilte Mann zu, Ogün Samast eine Pistole und Geld beschafft zu haben. Nach dem Geständnis des 17-jährigen Ogün Samast prüfe die Polizei die politische Dimension der Tat.

"Ehre der Türkei gerettet"
"Ogün hat seine Pflicht erfüllt und die Ehre der Türkei gerettet", sagte Hayal laut "Hürriyet". Die Polizei bestätigte sein Geständnis, aber keine Einzelheiten seiner Aussage. Die Äußerung des Ultranationalisten stützt die Vermutung, dass Dink wegen seiner Kritik am offiziellen Umgang mit der Verfolgung von Armeniern Anfang des 20. Jahrhunderts ermordet wurde. Die Zeitung schrieb, Hayal habe in Trabzon (Trapezunt) am Schwarzen Meer angeblich mehrere Jugendliche im Umgang mit Waffen geschult und sie mit der Idee indoktriniert, Verräter zu bestrafen.

Acht Verdächtige, unter ihnen Yasin Hayal, wurden im Zusammenhang mit der Tat verhört. Die Ermittler untersuchten den möglichen Einfluss einer Organisation. Samast hatte unmittelbar nach seiner Verhaftung am Samstag gestanden, den 52-jährigen Dink vor dem Gebäude von dessen armenisch-türkischer Wochenzeitung "Agos" erschossen zu haben. Sein Vater hatte ihn auf einem Fahndungsfoto identifiziert und der Polizei den zielführenden Hinweis gegeben. Bei einem Lokalaugenschein Sonntagabend schilderte Samast unter umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen die Einzelheiten der Tat.

Täter zeigt keine Reue
Nach Einschätzung von Samasts Mutter Havva wurde der Jugendliche benutzt. "Er ist aggressiv, aber er ist kein Bursche, der so etwas ganz allein macht", sagte sie. "Hürriyet" berichtete, Hayal habe den minderjährigen Samast zu der Tat angestiftet und ihm die Tatwaffe gegeben. "Ich wurde ausgewählt, weil ich schnell rannte und gut zielte", soll Samast gesagt haben. Reue zeigte er demnach nicht. Hayal hatte 2004 aus Protest gegen die US-Besatzung im Irak einen Bombenanschlag auf eine Filiale der Fastfood-Kette McDonald's in Trabzon verübt und war dafür zu elf Monaten Haft verurteilt worden.

Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk warf unterdessen der Regierung in Ankara vor, mit ihrem Festhalten an dem Verbot der "Beleidigung des Türkentums" Dinks Tod verschuldet zu haben. Pamuk sagte, Schuld an dem Mord trügen vor allem all jene, die an dem berüchtigten "Türkentum"-Paragrafen 301 des Strafgesetzbuches festhielten. Gegen Dink sei eine Kampagne in Gang gesetzt worden, die den Journalisten zum "Feind der Türken" abgestempelt und zur Zielscheibe für den Mordanschlag gemacht habe. Dink, Pamuk und andere Intellektuelle waren auf Grundlage des Paragrafen 301 vor Gericht gestellt worden.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte nach Dinks Tod angeordnet, dass Pamuk und andere prominente "301-Opfer" unter Polizeischutz gestellt werden sollten. Der moderat-islamische Premier rief Europa auf, der Türkei nicht die Schuld an dem Mord zu geben. Solche Angriffe "gibt es leider in jedem Land", sagte Erdogan. Sein Stellvertreter Abdullatif Sener sagte, die Türkei sollte stolz sein auf Intellektuelle, "die nicht wie der Staat denken". Die Türkei solle kein Land sein, in dem Intellektuelle wegen nicht konformer Ansichten getötet würden.

Das Internationale Presse-Institut (IPI) mit Sitz in Wien verurteilte den Mord als "grausames Ereignis für die türkische Pressefreiheit". Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF/ROG) forderte ein Umdenken der türkischen Regierung. "Die Streichung des Paragrafen wäre ein deutliches Zeichen, dass Journalisten nicht länger wegen kritischer Äußerungen eingeschüchtert oder bedroht werden dürfen", erklärte ROG in Berlin.

Protestzug in Armenien
In der armenischen Hauptstadt Eriwan gedachten mehr als hundert Menschen in einem Protestzug des Ermordeten. Am Tatort in Istanbul legten Menschen am Wochenende Blumen nieder. Eine kleine Gruppe von Demonstranten skandierte dabei: "Wir sind alle Hrants. Wie sind alle Armenier."

Zu Dinks Beisetzung am Dienstag in Istanbul lud Ankara nach Angaben eines türkischen Diplomaten auch ausländische armenische Geistliche ein. Aus Frankreich, wo die größte Gemeinschaft von Exil-Armenierin in Europa lebt, nimmt eine Abordnung des armenischen Dachverbandes an den Trauerfeiern in Istanbul teil, wie am Montag in Paris mitgeteilt wurde. Der armenische Koordinationsrat CCAF vertritt rund 400.000 Franzosen armenischen Ursprungs. Auch der Primas der Armenier in den USA, Khajak Barsamian, reist nach Istanbul.

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Hrant Dink, 53-jähriger türkisch-armenischer Journalist, liegt tot am Boden. Er wurde mit Schüssen in den Kopf und den Körper niedergestreckt.

Dink war der prominenteste Vertreter der armenischen Minderheit in der Türkei. Seine ungeschminkten Äußerungen über die blutige Verfolgung der Armenier brachten ihm Morddrohungen ein.

Der Täter feuerte drei Schüsse ab - Dink war auf der Stelle tot.

Der Journalist Dink war Herausgeber der Wochenzeitung "Agos". Er war wegen "Beleidigung des Türkentums" zu einer Haft von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.

Der Mörder hatte Dink angerufen und ihn vor die Tür seines Büros gebeten. Dort erschoss er ihn aus nächster Nähe.

Möglicherweise wurde der Täter von einer Überwachungskamera gefilmt.

Demonstranten stellten Kerzen auf. Stummer Protest gegen einen Mord, der die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei beeinflussen wird.

Tausende Menschen haben gegen die Ermordung Dinks protestiert. Unterdessen hat die Polizei drei Verdächtige festgenommen.

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