Während Gori weiterhin besetzt ist, leidet die Bevölkerung unter den Folgen des Krieges. Die NATO ist einig – und friert Beziehungen zum Kreml ein.
Stanidze Nazu steht wütend vor dem Rathaus. Immer noch sind die Russen in ihrer Stadt, riegeln den Ort mit Checkpoints an strategischen Punkten ab. Und noch immer hat sie kein Hilfspaket bekommen, wie in den vergangen Tagen auch. „Was ist nur aus uns geworden“, fragt die Töpferin mit Tränen in den Augen. Hinter ihr blickt Josef Stalin vom Sockel auf den Hauptplatz seiner Geburtsstadt. Der Asphalt ist mit Kratern von Granaten übersät, Fenster sind zerschossen.
Geflüchtet
Gori ist eine Geisterstadt geworden. Von den
56.000 Einwohnern sollen laut UNO 45.000 die Stadt verlassen haben.
Westliche Militärs zweifeln diese Zahl als übertrieben an – doch im
besetzten Gori sieht man kaum Menschen auf der Straße. Die Lage scheint
dennoch stabil zu sein: An einer Brücke plaudern Georgier mit den russischen
Soldaten.
Freischärler
„Die Ruhe trügt. Es gibt immer noch Überfälle,
vor allem in den umliegenden Dörfern“, berichtet Georgi Meladze (28). Der
Student aus Tiflis hat im Rathaus ein „Medienzentrum“ eingerichtet, um der
Weltpresse die Gräuel des Krieges zu zeigen. Aus georgischer Sicht, versteht
sich. Heute sind aber nur wenige Reporter gekommen: Die Einfallsstraße ist
gesperrt. Und auf den Nebenstraßen besteht Gefahr, auf Milizen zu stoßen.
„Sie kommen meist in Autos, manchmal werden sie von den Russen eskortiert“,
sagt der 28-jährige Meldaze über die Vorgehensweise der Freischärler. „Sie
sammeln von ihren Opfern die Handys ein. Oder sie vergewaltigen junge
Frauen.“
Kein Gas
Auf dem Platz vor seinem Fenster hat sich inzwischen
eine Menschenmenge gebildet. Plastiksäckchen werden verteilt – eine
Hilfslieferung wurde in die Stadt gelassen. Doch es ist zu wenig da. Eine
Frau zeigt ihre ergatterte Notration: ein halbes Kilo Bohnen, zwei
Nudelpackungen. Kein Öl, kein Brot, kein Wasser. „Ich kann damit nichts
anfangen, es gibt kein Gas zum Kochen“, sagt sie.
Plastikblumen
Wie viele andere Gesprächspartner an diesem Tag
schimpft die Frau auf Michail Saakaschwili, der mit seinem Angriff auf das
südossetische Zchinwali Moskaus Zorn entfacht hat. In der Kombinatstraße ist
sichtbar, wie heftig die russische Antwort war: Kampfjets warfen hier Bomben
ab, zwei davon schlugen in Wohnblocks ein, die völlig zerstört wurden. Eine
Greisin wandert apathisch durch die Ruinen. An der Stelle, wo ein Bewohner
getötet wurde, legt sie einen Strauß rosaroter Plastikblumen nieder. Sie
bekreuzigt sich.
Eiszeit
Inzwischen beschäftigt die kleine Stadt im Zentrum
Georgiens die ganze Welt. Bei NATO und EU wächst die Unruhe über den
schleppenden Abzug russischer Truppen in weiten Teilen Georgiens.
Auf einer Krisensitzung der NATO riefen auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein britischer Kollege David Miliband Moskau zum Abzug seiner Soldaten auf. Russlands Militär weist die Kritik allerdings zurück. Damit droht eine neue Eiszeit zwischen Kreml und NATO, glauben die Georgier.
Florian Lems aus Gori