Kolumbien
Ingrid Betancourt schildert Details ihrer Befreiung
02.07.2008
Nach sechs Jahren Geiselhaft ist die franko-kolumbianische Politikerin nun frei. Ein spektakuläres Geheimdienstmanöver brachte ihr die Freiheit.
Nach mehr als sechs Jahren in Geiselhaft hat die kolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt ihre beiden Kinder in die Arme schließen können. Sie nahm am Donnerstag ihre 22-jährige Tochter Mélanie und ihren 19-jährigen Sohn Lorenzo am Militärflughafen von Bogotá in Empfang, wo die beiden aus Paris kommend gelandet waren. Die in einen schwarzen Hosenanzug gekleidete Betancourt wurde von ihrem Mann und ihrer Mutter begleitet und brach in Tränen aus, als sie ihre Kinder umarmte.
Ingrid Betancourt und die 14 weiteren befreiten FARC-Geiseln sind zuvor in der kolumbianische Hauptstadt Bogotá eingetroffen. Die franko-kolumbianische Politikerin, die US-Bürger Marc Gonsalves, Thomas Howes und Keith Stansell sowie die anderen elf befreiten FARC-Gefangenen landeten am Mittwochnachmittag (Ortszeit) auf dem Militärflughafen von Bogotá.
Betancourt stieg als erste aus der Maschine von Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe. Sie lächelte und fiel ihrer Mutter Yolanda Pulecio und dann ihrem Mann Juan Carlos Lecompte um den Hals. Ihr Ehemann bezeichnete den Zustand seiner Frau als "perfekt". Betancourt, die neben der kolumbianischen auch die französische Staatsbürgerschaft besaß, sei "bei klarem Verstand", sagte Juan Carlos Lecompte dem kolumbianischen Fernsehsender Caracol weiter. "Sie ist nur ein bisschen mager", fügte er lächelnd hinzu. Lecompte räumte ein, von dem guten Gesundheitszustand seiner Frau überrascht zu sein. Die Befreiung seiner Frau löse Gefühle aus, "die mit Worten nicht zu beschreiben" seien, fügte er hinzu.
In einem Ende November veröffentlichten Video war eine stark abgemagerte Betancourt zu sehen gewesen, die apathisch auf einer Holzbank im Dschungel saß. Zudem gab es Berichte, die Politikerin leide an Hepatitis B sowie an einer durch Insektenstiche hervorgerufenen Hautinfektion.
Spektakulärer Trick
Die Geiseln waren mit einem spektakulären Trick von den kolumbianischen Streitkräften befreit worden. Verteidigungsminister Santos erzählte, Agenten des Militärgeheimdienstes seien in die linksgerichtete Rebellengruppe eingeschleust worden. Sie hätten dem für die Geiseln zuständigen Kommandanten namens Cesar weisgemacht, dass diese zum FARC-Chef Alfonso Cano gebracht werden sollten.
"Hubschrauber fiel fast vom Himmel"
Die in drei Gruppen gefangen gehaltenen Geiseln seien daraufhin zu einem Treffpunkt gebracht worden, wo zwei getarnte Hubschrauber vom Typ MI-17 warteten. Auf die Mitteilung von der Befreiung folgt der wohl kritischste Augenblick der Aktion. "Der Hubschrauber fiel fast vom Himmel, weil wir herumsprangen, schrien, weinten und uns umarmten", berichtet Betancourt, als alles vorbei ist. "Wir konnten es nicht glauben."
US-Geiseln in Texas gelandet
Die drei mit Betancourt befreiten US-Bürger, die für das Rüstungsunternehmen Northrop Grumman arbeiteten, wurden den US-Behörden in Kolumbien übergeben. Präsident George W. Bush und Sarkozy beglückwünschten ihren kolumbianischen Kollegen Uribe zu dem Erfolg. Eine Militärmaschine brachte sie nach San Antonio im US-Bundesstaat Texas.
Sarkozy trieb Befreiung voran
Der französische Staatspräsident kündigte an, dass die Kinder der 46-Jährigen gemeinsam mit dem französischen Außenminister Bernard Kouchner noch in der Nacht nach Kolumbien fliegen werden. Sarkozy erneuerte unterdessen sein Angebot, wenn FARC-Rebellen ihren Kampf aufgeben würden, könnten sie in seinem Land Aufnahme finden.
von links: Ingrids Schwester Astrid mit Sohn, Nicolas Sarkozy, Ingrids Tochter Melane und Sohn Lorenzo
Betancourts Tochter Melanie erklärte sichtlich bewegt: "Seit Sarkozy die Dinge in die Hand genommen hat, ist alles in Gang gekommen." Mit stockender Stimme sagte sie: "Das ist der so lange erwartete Augenblick. Ich warte darauf, meine Mutter in die Arme schließen zu können. Das ist der größte Augenblick meines Lebens." Es gebe aber noch weitere Geiseln im Dschungel. "Man darf sie nicht vergessen." Betancourts Sohn Lorenzo erklärte: "Wir haben einen Kampf für die Freiheit gewonnen." Frankreich habe alles für die Befreiung seiner Mutter getan. Betancourts Familie hatte stets einen Verzicht auf eine militärische Befreiungsaktion gefordert.
Betancourts Ex-Mann Fabrice Delloye erklärte dem Nachrichtensender i-Télé, die Befreiung sei nach Verhandlungen des kolumbianischen Geheimdienstes mit FARC-Dissidenten zustande gekommen. Teile der FARC wollten aus dem bewaffneten Kampf aussteigen, ohne jahrelange Haft zu riskieren.
Sarkozy hatte sich die Befreiung Betancourts von Uribe telefonisch bestätigen lassen. Er dankte auch dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und dem Präsidenten Ecuadors, Rafael Correa, die beide eine Vermittlung mit der FARC versucht hatten, sowie der Schweiz und Spanien, "die uns immer geholfen haben". Uribe hatte die Vermittlungsbemühungen Venezuelas nach Einschätzung französischer Beobachter sabotiert und auf eine militärische Lösung gesetzt.
Auch USA spielten wichtige Rolle
Die US-Regierung hat nach eigenen Angaben bei der Befreiung der Geiseln eine aktive Rolle gespielt. Wie der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Gordon Johndroe, am Mittwoch sagte, war die US-Regierung über die Befreiungsoperation "in ihren Planungsphasen" informiert und leistete "spezifische Unterstützung". Welcher Art, könne die US-Regierung nicht mitteilen. "Diese Rettung war lange geplant, und wir haben mit den Kolumbianern seit fünf Jahren, seit die Geiseln genommen wurden, zusammengearbeitet, um sie aus der Gefangenschaft zu befreien", sagte Johndroe.
Weltweite Freude
UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner begrüßten die Befreiung Betancourts und ihrer Mit-Geiseln. Ban verurteilte in einer Erklärung Entführungen als "abscheuliches und ungeheuerliches Verbrechen". Die FARC-Rebellen forderte er auf, die noch in ihrer Gewalt befindlichen Geiseln "sofort und ohne Bedingungen freizulassen". Ferrero-Waldner zeigte sich ihrerseits "außerordentlich erleichtert und sehr glücklich, dass Ingrid Betancourts sechsjähriger Alptraum (...) endlich beendet ist".
Betancourt wurde 2002 während ihres Wahlkampf als Präsidentschaftskandidatin von den FARC-Rebellen gefangen genommen und soll zuletzt schwer krank geworden sein.
Fotos: (c) AP, Reuters