Österreichs ehemaliger Botschafter in Belgrad im Interview mit ÖSTERREICH: "Karadzic ist menschlich nicht fassbar".
Wolfgang Petrisch, ehemaliger österreichischer Botschafter in Belgrad und Organisator des Friedensabkommens von Dayton, ist derzeit bei der OECD in Paris. Im Gespräch mit ÖSTERREICH spricht der Diplomat über das „ewige Rätsel“ Karadzic.
ÖSTERREICH: Sie haben bereits in der Vergangenheit kritisiert, dass für
eine Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadzic der
politische Wille fehlt. Warum ist die Festnahme jetzt möglich geworden?
Wolfgang
Petritsch: Die jetzige Festnahme ist ein bizarrer Beweis dafür, dass es sich
nur um den politischen Willen gehandelt haben kann. Ich glaube, das ist auch
ein klarer Hinweis darauf, dass sich jetzt die Milosevic-Sozialisten von
ihren Paten emanzipieren wollen.
Gehen Sie davon aus, dass der Ratko Mladic in der nächsten Zeit
ebenfalls gefasst werden wird. Hat sich hier jetzt ein Prozess beschleunigt?
Auch
für Mladic gilt, dass es jetzt umso klarer ist, dass man weiß wo er ist –
dass aber im Unterschied zu Karadzic ihm einfach die politische
Unterstützung gefehlt hat, sowohl in Serbien als auch in Republik Srpska.
Hinter Mladic steht allerdings offensichtlich immer noch das serbische
Militär. Und da traut man sich möglicherweise noch nicht so heran.
Was bedeutet die Festnahme nun für Serbien in Bezug auf einen möglichen
EU-Beitritt?
Ich glaub, es zeigt sich hier ganz deutlich, auch in
einem ganz eigenartigen Kontrast zu Österreich, welche Faszination die
Europäische Union ausübt. Sie wird eben dort wirklich als Friedensprojekt
gesehen, natürlich spielt auch die wirtschaftliche Seite eine ganz
wesentliche Rolle. Für die serbischen Bürger ist die Europäische Union der
Fixstern nach dem sie sich orientieren. Da wird dann eben auch die verfehlte
Loyalität zu Leuten wie Karadzic brüchig und man entscheidet sich dann doch
für die Zukunft.
Beim UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ist es ja so, dass es nur
bis 2010 mit einem Mandat ausgestattet ist. Auch Russland will keine
Verlängerung. Was bedeutet das auch für einen möglichen Prozess? Muss dieser
jetzt innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen werden? Was passiert wenn bis
2010 kein Urteil zu Stande kommt?
Das bedeutet dann ein
Zweifaches. Zum ersten Mal ist es auch jetzt für Russland ein klarer Beweis
dafür, dass man einen der Hauptbeklagten, und das ist eben Karadzic wohl,
einen fairen Prozess wird geben müssen. Und es bedeutet gleichzeitig auch,
dass das seine Zeit dauert. Zum Zweiten aber muss man auch aus den Fehlern
vom Milosevic-Prozess lernen und wirklich einen strategischen Prozess
führen, wo man zwei oder drei wesentliche Punkte der Anklage ganz klar
formuliert. Das ist einmal Srebrenica, die Belagerung und Bombardierung
Sarajewos und das ist natürlich die politische Strategie der ethnischen
Vertreibung. Wenn man sich auf diese drei Punkte konzentriert und die
politische Verantwortung von Karadzic herausarbeitet, dann hat man glaub ich
sehr viel erreicht. Das ist dann auch bis 2010 abhandelbar.
Karadzic wird vorgeworfen, 200.000 Menschen auf dem Gewissen zu haben,
maßgeblich beim Srebrenica-Massaker mit 8.000 Opfern beteiligt gewesen zu
sein. Wie lässt sich so etwas erklären?
Ich hab mich
ja jahrelang mit dem Phantom Karadzic auseinander setzen müssen. Er ist
eigentlich menschlich nicht fassbar. Was da passiert ist, wie hier ein
Nationalismus umschlagen konnte in so einen Genozid, das wird wohl ewig ein
Rätsel bleiben. Man wird sich wahrscheinlich in den Verhandlungen in Den
Haag nur asymptotisch annähern können. Aber was letztendlich wichtig sein
wird ist, dass jetzt endlich die Aufarbeitung beginnen kann. Dass die
Menschen, die Betroffenen, die Opfer, die Überlebenden vielleicht doch ein
gewisses Gefühl von Gerechtigkeit bekommen. Und so vielleicht mit ihren
eigenen Schmerzen besser zu Rande kommen werden.