ÖSTERREICH-Interview

"Karadzic ist menschlich nicht fassbar"

22.07.2008

Österreichs ehemaliger Botschafter in Belgrad im Interview mit ÖSTERREICH: "Karadzic ist menschlich nicht fassbar".

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Wolfgang Petrisch, ehemaliger österreichischer Botschafter in Belgrad und Organisator des Friedensabkommens von Dayton, ist derzeit bei der OECD in Paris. Im Gespräch mit ÖSTERREICH spricht der Diplomat über das „ewige Rätsel“ Karadzic.

ÖSTERREICH: Sie haben bereits in der Vergangenheit kritisiert, dass für eine Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadzic der politische Wille fehlt. Warum ist die Festnahme jetzt möglich geworden?
Wolfgang Petritsch: Die jetzige Festnahme ist ein bizarrer Beweis dafür, dass es sich nur um den politischen Willen gehandelt haben kann. Ich glaube, das ist auch ein klarer Hinweis darauf, dass sich jetzt die Milosevic-Sozialisten von ihren Paten emanzipieren wollen.

Gehen Sie davon aus, dass der Ratko Mladic in der nächsten Zeit ebenfalls gefasst werden wird. Hat sich hier jetzt ein Prozess beschleunigt?
Auch für Mladic gilt, dass es jetzt umso klarer ist, dass man weiß wo er ist – dass aber im Unterschied zu Karadzic ihm einfach die politische Unterstützung gefehlt hat, sowohl in Serbien als auch in Republik Srpska. Hinter Mladic steht allerdings offensichtlich immer noch das serbische Militär. Und da traut man sich möglicherweise noch nicht so heran.

Was bedeutet die Festnahme nun für Serbien in Bezug auf einen möglichen EU-Beitritt?
Ich glaub, es zeigt sich hier ganz deutlich, auch in einem ganz eigenartigen Kontrast zu Österreich, welche Faszination die Europäische Union ausübt. Sie wird eben dort wirklich als Friedensprojekt gesehen, natürlich spielt auch die wirtschaftliche Seite eine ganz wesentliche Rolle. Für die serbischen Bürger ist die Europäische Union der Fixstern nach dem sie sich orientieren. Da wird dann eben auch die verfehlte Loyalität zu Leuten wie Karadzic brüchig und man entscheidet sich dann doch für die Zukunft.

Beim UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ist es ja so, dass es nur bis 2010 mit einem Mandat ausgestattet ist. Auch Russland will keine Verlängerung. Was bedeutet das auch für einen möglichen Prozess? Muss dieser jetzt innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen werden? Was passiert wenn bis 2010 kein Urteil zu Stande kommt?
Das bedeutet dann ein Zweifaches. Zum ersten Mal ist es auch jetzt für Russland ein klarer Beweis dafür, dass man einen der Hauptbeklagten, und das ist eben Karadzic wohl, einen fairen Prozess wird geben müssen. Und es bedeutet gleichzeitig auch, dass das seine Zeit dauert. Zum Zweiten aber muss man auch aus den Fehlern vom Milosevic-Prozess lernen und wirklich einen strategischen Prozess führen, wo man zwei oder drei wesentliche Punkte der Anklage ganz klar formuliert. Das ist einmal Srebrenica, die Belagerung und Bombardierung Sarajewos und das ist natürlich die politische Strategie der ethnischen Vertreibung. Wenn man sich auf diese drei Punkte konzentriert und die politische Verantwortung von Karadzic herausarbeitet, dann hat man glaub ich sehr viel erreicht. Das ist dann auch bis 2010 abhandelbar.

Karadzic wird vorgeworfen, 200.000 Menschen auf dem Gewissen zu haben, maßgeblich beim Srebrenica-Massaker mit 8.000 Opfern beteiligt gewesen zu sein. Wie lässt sich so etwas erklären?
Ich hab mich ja jahrelang mit dem Phantom Karadzic auseinander setzen müssen. Er ist eigentlich menschlich nicht fassbar. Was da passiert ist, wie hier ein Nationalismus umschlagen konnte in so einen Genozid, das wird wohl ewig ein Rätsel bleiben. Man wird sich wahrscheinlich in den Verhandlungen in Den Haag nur asymptotisch annähern können. Aber was letztendlich wichtig sein wird ist, dass jetzt endlich die Aufarbeitung beginnen kann. Dass die Menschen, die Betroffenen, die Opfer, die Überlebenden vielleicht doch ein gewisses Gefühl von Gerechtigkeit bekommen. Und so vielleicht mit ihren eigenen Schmerzen besser zu Rande kommen werden.

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