Endgültig
Kosovo erklärt Unabhängigkeit von Serbien
16.02.2008
Das Parlament nahm die von Premier Thaci verlesene Unabhängigkeitserklärung an. EU und UNO sind in der Frage gespalten.
Die mehrheitlich von Albanern bewohnte südserbische Provinz Kosovo hat sich für unabhängig von Serbien erklärt. Das Parlament in Pristina nahm am Sonntagnachmittag eine von Premier Hashim Thaci verlesene Unabhängigkeitserklärung per Akklamation an. "Wir erklären den Kosovo zu einem freien und unabhängigen Staat", heißt es darin. Die serbische Führung wies den Schritt postwendend als illegal zurück, während Russland die UNO-Verwaltung im Kosovo aufforderte, den Parlamentsakt "für nichtig zu erklären".
Die Flagge des jüngsten Staates der Welt/ (c) Getty
Athisaari-Plan wird vollständig umgesetzt
Pristina
verpflichtet sich in der Erklärung zur "vollen Umsetzung" des
im Vorjahr präsentierten Plans von UNO-Vermittler Martti Ahtisaari zu einer "überwachten"
Unabhängigkeit der Provinz. Dieser Vorschlag, der u.a. Schutzmechanismen für
die serbische Minderheit im Kosovo vorsah, war im UNO-Sicherheitsrat am
Widerstand Russlands gescheitert. Damit konnte das höchste Gremium der
Vereinten Nationen keine neue Resolution zum Kosovo annehmen. In der
geltenden Resolution 1244 aus dem Jahr 1999 wird festgehalten, dass der
Kosovo Teil Jugoslawiens ist.
Demokratischer, multiethnischer Staat
In der
Unabhängigkeitserklärung, die den Kosovo als demokratischen und
multiethnischen Staat definiert, wird die EU eingeladen, eine Mission in den
Kosovo zu entsenden, und die NATO zum Verbleib im Kosovo aufgefordert.
Außerdem verpflichtet sich der neue Staat zur Achtung der im Ahtisaari-Plan
festgelegten Grenzen, zur UNO-Charta, der Helsinki-Schlussakte sowie zur
Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
"Wir haben lange auf die Unabhängigkeit gewartet", sagte der kosovarische Regierungschef Thaci vor den Parlamentariern. "Das ist ein historischer Moment, um das Leben aller Bürger dieses Landes zu verbessern, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Das Volk des Kosovo war noch nie so einig", betonte der frühere Rebellenführer und Chef der Demokratischen Partei des Kosovo (PDK). Thaci wandte sich auch in Serbisch an seine Mitbürger. "Kosovo wird sein Äußerstes tun, um gute Beziehungen mit Serbien zu haben", versprach der Regierungschef. Bei der Sitzung wurde auch die Fahne des neuen Staates enthüllt. Sie zeigt einen Umriss des Kosovo in weißer Farbe (Wappen) sowie sechs weiße Sterne auf blauem Hintergrund.
Zehntausende feiern auf den Straßen
Schon vor der
Unabhängigkeitserklärung hatten im ganzen Kosovo Zehntausende Albaner auf
den Straßen gefeiert. Auch in Wien, Linz und Salzburg feierten zahlreiche
Kosovo-Albaner. Allein auf den Wiener Heldenplatz waren über 2.500 Menschen
gekommen. Dagegen herrschte in den mehrheitlich von Serben bewohnten Teilen
des Kosovo gespannte Ruhe. Die Kosovo-Friedenstruppe verstärkte ihre Präsenz
im serbischen Nordkosovo, um Ausschreitungen zu verhindern. Die
Kosovo-Polizei hinderte am Sonntag mehrere hundert serbische Kriegsveteranen
am Einmarsch in die Provinz. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer
warnte nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos vor Gewalt in der
Provinz.
"Serbien wird Unabhängigkeit niemals anerkennen"
Serbien
bekräftigte indes seinen Anspruch auf die zu 90 Prozent von Albanern
bewohnte Provinz, die seit 1999 unter UNO-Verwaltung steht. "Serbien
wird niemals die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen", erklärte
Staatspräsident Boris Tadic unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung.
Dies betonte auch Premier Vojislav Kostunica, der schwere Vorwürfe gegen die
Vereinigten Staaten erhob. Ihre "destruktive, unmoralische Politik"
hätte zur Verkündung des "illegalen Kosovo-Staates"
geführt, erklärte Kostunica in einer TV-Ansprache. "Für
Serbien besteht der falsche Staat Kosovo nicht und er wird auch nie bestehen",
sagte Kostunica.
UNO-Sondersitzung blieb ergebnislos
Die internationale
Staatengemeinschaft bleibt in der Sache gespalten. Der UNO-Sicherheitsrat
erzielte bei einer Dringlichkeitssitzung in der Nacht auf Montag wieder
keine Einigkeit. Russland und China stehen weiter an der Seite Serbiens und
lehnen die Unabhängigkeit ab.
Unruhen in Belgrad
In Belgrad ist es am Sonntagabend vor der
slowenischen Botschaft, dem EU-Vorsitzland, zu Ausschreitungen gekommen.
Eine Gruppe von Randalierern, die zuvor vor der US-amerikanischen Botschaft
protestiert hatten, zerschlugen Fenster am Botschaftsgebäude, das zu jenem
Zeitpunkt nur schwach bewacht war, und zerrissen die slowenische und die
EU-Flagge.
Vor der US-Botschaft kam es gegen 18.00 Uhr zu einer Konfrontation von Demonstranten mit der Polizei. Die Aktivisten, mehrheitlich jüngere Fußball-Fans, bewarfen auch ein McDonald's-Restaurant mit Steinen. Mülltonnen und Verkehrszeichen wurden umgekippt, Autos beschädigt. Große Polizeiaufgebote waren am Abend vor den Staatsinstitutionen zu sehen.
Nach Angaben der Krankenhauskreise sind in den heutigen Ausschreitungen bisher mindestens 12 Personen verletzt worden, darunter sieben Polizisten und ein Journalist.
Proteste gab es am Abend auch in der Vojvodina-Hauptstadt Novi Sad, wo es aber zunächst zu keinen Ausschreitungen kam. Auch in Novi Sad nahmen an den Protesten vorwiegend Fußball-Fans teil.
Zurückhaltende EU-Staaten
Während der irische Außenminister
Dermot Ahern bereits am Sonntag bekanntgab, dass er der Regierung in Dublin
eine Anerkennung des Kosovo empfehlen werde, fielen die Reaktionen in
anderen EU-Staaten zurückhaltend aus. Deutschland, Italien und Tschechien
mahnten beide Seiten zur Besonnenheit und verwiesen auf das Treffen der
EU-Chefdiplomaten am Montag in Brüssel. Frankreichs Außenminister Bernard
Kouchner sagte in Jerusalem, er wünsche dem Kosovo "viel Glück".
Papst Benedikt XVI. ließ mitteilen, er sei "in diesem
entscheidenden Augenblick ihrer Geschichte" in seinen Gebeten bei den
Bewohnern des Kosovo und Serbiens. Die von Georgien abtrünnigen Regionen
Abchasien und Südossetien kündigten an, dass sie dem Schritt des Kosovo
folgen wollten, während die nach mehr Autonomie in Spanien strebende
baskische Regionalregierung die Unabhängigkeit des Kosovo als "Lehrbeispiel
für die Lösung von Identitätskonflikten" bezeichnete.
NATO droht Unruhestiftern
Die NATO hat nach der
Unabhängigkeitserklärung des Kosovo mit einem harten Vorgehen gegen mögliche
Unruhen gedroht. "In dieser sensiblen Situation wird die Kfor schnell
und nachdrücklich gegen jeden vorgehen, der den Ausweg in der Gewalt sucht",
sagte Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer am Sonntag. Dabei werde die
Allianz keinen Unterschied zwischen den die Mehrheit im Kosovo stellenden
Albanern und der Minderheit der Serben machen. Die NATO fordere alle Seiten
im Kosovo auf, "die größtmögliche Zurückhaltung und Mäßigung an den Tag
zu legen".