Kurswechsel in Kroatien: Bislang war Premier Sanader gegen die Atomenergie. Dies ist wohl passé, denn nun will er sie nutzen.
Der kroatische Ministerpräsident Ivo Sanader will "das Tabu", mit dem die Atomkraft seiner Ansicht nach behaftet ist, beenden. Wegen erwarteter Probleme bei der künftigen Energieversorgung will Sanader eine Debatte über die Nuklearenergie in Kroatien führen, sagte er am Samstag im "Ö1"-Journal zu Gast des ORF-Radio. Die Energieversorgung der Bürger sei das oberste Ziel. Deswegen würde Sanader, der in der Atomfrage "bisher eher auf der österreichischen Seite war", nun aber "auf die französische Seite wechseln".
Krsko-Störfall beunruhigt Sanader nicht
Das Zagreber
Wirtschaftsministerium erarbeite eine Strategie zur Atomkraft, die im Herbst
fertig werde, gab Sanader bekannt. Zwischenfälle wie jüngst im slowenischen
AKW Krsko, das zur Hälfte auch Kroatien gehört, beunruhigen den kroatischen
Premier nicht. Es habe sich um einen Störfall gehandelt, radioaktive
Strahlung sei nicht ausgetreten. So etwas könne in jedem Atomkraftwerk
passieren, so Sanader.
Den Streit mit Slowenien um den Verlauf der See- und Landesgrenze will Sanader nach den slowenischen Parlamentswahlen im September dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag in die Hände legen. Den Konflikt mit Slowenien und Italien um die Fischereizone sieht Sanader bereits "geregelt". Er glaube deswegen, dass die beiden Nachbarstaaten den EU-Beitritt Kroatiens unterstützen. "Ich kenne kein einziges Land, das etwas gegen einen Beitritt Kroatiens hätte", so Sanader, der sein Land "natürlich" für einen Beitritt "reif" erachtet: "Reelles Ziel ist 2010." Sanader hofft, dass die Beitrittsverhandlungen Ende des Sommers abgeschlossen werden können.
Kritik an Brüssel
Der kroatische Premier kritisierte,
dass Brüssel Kroatien "immer neue Regel auferlegt". Gleichzeitig gestand er
ein, dass es noch ungelöste Fragen gebe - "weil man nie genug erreichen
kann, im Kampf gegen Korruption, in der Reform des öffentlichen Dienstes und
der Justizreform." Die Gleichstellung aller Bürger sei das oberstes Ziel. Er
selbst sei noch nicht ganz zufrieden mit der derzeitigen Situation.
Wenn es Hürden zu überwinden oder "schwierige Themen" zu lösen gebe, sinke die Unterstützung der kroatischen Bevölkerung für einen Beitritt, sagte Sanader, der in diesem Zusammenhang etwa die von Brüssel geforderte Auslieferung des ehemaligen kroatischen Ex-Generals Ante Gotovina erwähnte, gegen den vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag mittlerweile der Prozess begonnen hat. Dennoch seien rund 50 Prozent der Kroaten für einen EU-Beitritt; ein Drittel sei dagegen.
Perspektive für den Balkan
Sanader sieht für alle
Westbalkan-Länder, auch für Serbien, eine europäische Perspektive. Die
Beziehungen zwischen Kroatien und Serbien befänden sich in einer "Situation,
aus der wir herauskommen müssen", sagte er. Sanader wartet auf die Bildung
einer neuen Regierung in Belgrad, er sei bereit, sich mit dem neuen
Ministerpräsidenten zu treffen. Auch wenn die ultra-nationalistische
Serbische Radikale Partei (SRS) an der Regierung beteiligt wäre, dürfe man
sie "nicht isolieren", sondern müsse "mit ihnen reden". Sanader glaubt, dass
die Ideologie eines Groß-Serbien gestorben ist. Das Pulverfass Balkan "ist
Geschichte".