Zivile Opfer

Kunduz-Affäre nimmt neue Dimensionen an

12.12.2009

Das Berliner Kanzleramt soll ein schärferes Vorgehen gegen Taliban gebilligt haben.

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Die Affäre um den Luftangriff in Afghanistan mit vielen Toten und Verletzten nimmt eine neue Dimension an. Das deutsche Bundeskanzleramt soll nach einem Bericht der "Leipziger Volkszeitung" vor dem Luftschlag ein schärferes Vorgehen der Bundeswehr gegen die Taliban gebilligt haben.

Gezielte Liquidierung
Das Kanzleramt, die Spitze des Verteidigungsministeriums sowie mit der Koordination der Geheimdienste beauftragte Regierungsvertreter seien vor und nach dem Luftangriff bei Kunduz am 4. September in eine damals vereinbarte neue Eskalationsstufe in Afghanistan einbezogen worden, berichtet die Zeitung. Dabei sei es auch um die gezielte Liquidierung der Taliban-Führungsstruktur gegangen.

Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages soll die Kunduz- Affäre durchleuchten. Er konstituiert sich am kommenden Mittwoch. Ebenso wie "Spiegel Online" berichtet auch die "Süddeutsche Zeitung" in ihrer Samstagsausgabe, der Luftschlag von Kunduz habe nicht auf die beiden Tanklastzüge, sondern auf eine Gruppe von Taliban und deren Anführer gezielt. Die Zeitung zitiert aus dem Untersuchungsbericht der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF). "Er wollte die Menschen angreifen, nicht die Fahrzeuge", heiße es in dem geheimen Bericht über den für den Angriff verantwortlichen Oberst Georg Klein.

Laut dem ISAF-Bericht seien vor dem Bombardement am 4. September 60 bis 80 Taliban und ihre Anführer zu den Tanklastzügen geeilt. Die Anführer hätten ihre Leute sogar vor einem möglichen Bombardement gewarnt, aber niemand habe dem Beachtung geschenkt. Oberst Klein habe selbst in einem von ihm verfassten Bericht erklärt, die Taliban "vernichten" zu wollen, schreibt die Zeitung. Die Bundesregierung hatte in der Vergangenheit erklärt, die Tanklastzüge seien angegriffen worden, weil eine Gefahr für die deutschen Truppen drohte.

Untersuchungsausschuss
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagte nach seiner Rückkehr von einem Truppenbesuch in Kunduz am Freitagabend auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur dpa zu dem "LVZ"-Bericht: "Auch zu diesem Themenkomplex gilt: Vor meiner Zeit als Verteidigungsminister, nicht in meine Verantwortungszeit gefallen. Das ist Gegenstand des Untersuchungsausschusses. Ich glaube, das ist der richtig Weg."

Der Grünen-Politiker Omid Nouripour, der Guttenberg begleitet hatte, erklärte: "Ich kann Ihnen versichern, dass wir die Bundeskanzlerin, den damaligen Kanzleramtsminister und die damaligen Staatsminister vorladen werden und befragen werden. Wenn das so sein sollte, dass alles, was man uns erzählt hat, gelogen war, dann wird das natürlich Konsequenzen haben müssen." Dann wäre Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), der Ende November als Bundesminister zurückgetreten war, "kein Bauernopfer gewesen".

Guttenberg hatte am Freitag in Kunduz um Verständnis der Soldaten für den Untersuchungsausschuss zu dem Luftschlag geworben. Zugleich warnte er in Afghanistan vor einer Diskreditierung der Soldaten durch die Arbeit des Bundestagsgremiums. Dem Vernehmen nach soll der Minister nicht über die geplante Entschädigung für zivile Opfer gesprochen haben.

Die "LVZ" meldete, in die Entscheidungsstrukturen im Zusammenhang mit der Tötung von Taliban seien Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) sowie Kontaktpersonen des Bundeswehr-Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Abstimmung mit dem US-Geheimdienst CIA einbezogen worden. Die Zeitung will aus dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam erfahren haben, dass sich der für den Angriff verantwortliche Oberst Klein "nach diesen Regierungsvorgaben regelrecht ermutigt gefühlt haben" dürfte, "einmal kräftig durchzugreifen".

Zustimmung des US-Militärs
Nach einem Bericht des Magazins "Focus" erfolgte der Angriff mit ausdrücklicher Zustimmung der US-Militärs. Dem Magazin zufolge holten die US-Piloten vor dem von Oberst Klein angeforderten Abwurf der Bomben eine endgültige Freigabe bei der US-Einsatzzentrale in Doha im Golfstaat Katar ein. Erst nach Rückfrage bei ihrer Kommandozentrale und der Freigabe klinkten sie die beiden GPS- gesteuerten GBU-38-Bomben aus, heißt es in dem Bericht.

Bei der Bombardierung der beiden von den Taliban gekaperten Tanklaster waren bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden.

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