Der Verfassungsgerichtshof fügte der Regierung im Kopftuch-Streit eine empfindliche Niederlage zu. Erdogan will größeren Schaden vermeiden.
Nach der empfindlichen Niederlage, die der Verfassungsgerichtshof seiner islamisch-konservativen Regierung im Kopftuchstreit zugefügt hat, will der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nach eigenen Worten einen eskalierenden Machtkampf zwischen Parlamentsmehrheit und Höchstrichtern vermeiden. Der Türkei drohe schwerer Schaden, wenn die Regeln des Staates nicht eingehalten werden, sagte Erdogan am Dienstag in Ankara vor der Abgeordnetenfraktion seiner Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP).
Er forderte ein sofortiges Ende des Ringens zwischen Staatsorganen.
Die verfassungsgerichtliche Annullierung der von der Nationalversammlung beschlossenen Erlaubnis zum Tragen von islamischen Kopftüchern an Universitäten verstoße gegen das Prinzip, wonach die gesetzgeberische Macht beim Parlament liege, sagte Erdogan. Das Verfassungsgericht sei lediglich befugt, Verfahrensfehler beim Zustandekommen von Gesetzen oder Verfassungsänderungen zu prüfen, nicht aber deren Inhalt.
Zur Begründung seiner Entscheidung hatte das Gericht auf das in der Verfassung verankerte Prinzip der Trennung von Staat und Religion verwiesen.
Gegen die Regierungspartei, die bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr 47 Prozent der Stimmen bekommen hatte, läuft vor dem Verfassungsgerichtshof ein Verbotsantrag mit der Begründung, dass die AKP islamistische Pläne verfolgen würde. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte den Mitte März gestellten Verbotsantrag damit begründet, dass die AKP ein "Zentrum von Aktivitäten gegen den säkularen Staat" sei. Die AKP hatte das politische Erbe der vom Verfassungsgericht verbotenen islamischen Wohlfahrtspartei (Refah) des vom Militär zum Rücktritt gezwungenen und mit politischem Betätigungsverbot belegten ehemaligen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan angetreten.
Hintergrund: Nach dem Verbot der Wohlfahrtspartei wurde als deren Nachfolgerin zunächst die Tugendpartei gegründet, aus der wiederum die heute regierende Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei hervorging. Die türkische Armee, die als Hüterin der kemalistisch-laizistischen Grundprinzipien der Republik auftritt, hatte 1960, 1971, 1980 und 1997 in die Politik eingegriffen und zweimal - 1960 unter General Cemal Gürsel und 1980 unter General Kenan Evren - direkt die Macht übernommen. 1997 hatte das Militär den Rücktritt Erbakans erzwungen. |