Situation unübersichtlich, Bürger formen Milizen, Urlauber großteils ausgeflogen.
Nach der Flucht von Ex-Präsident Zine el Abidine Ben Ali und den teilweise blutigen Unruhen hat sich die Lage in Tunesien im Lauf des Wochenendes leicht beruhigt, die Situation blieb aber auch am Sonntag instabil und unübersichtlich. In der Hauptstadt Tunis ging die Armee gegen Mitglieder der Leibgarde von Ben Ali vor, der sich nach Protesten gegen sein Regime ins Exil nach Saudi-Arabien abgesetzt hat. Augenzeugen berichteten von weiteren Plünderungen und verschärften Kontrollen des Militärs. Die großen deutschen Reiseveranstalter haben ihre Urlauber mittlerweile zum Großteil mit Sondermaschinen aus Tunesien nach Deutschland und Österreich zurückgeholt.
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Mit großer Verspätung ist die Boeing 737 mit österreichischen und deutschen Touristen aus Tunesien an Bord am Samstagabend um 21.43 Uhr am Salzburger Flughafen gelandet.
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Aus der Maschine der Lauda Air sind 40 bis 50 Personen ausgestiegen. Die meisten zeigten sich hocherfreut, wieder in Österreich zu sein.
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„Samstag früh haben wir erfahren, dass wir sofort abreisen müssen, es war zu gefährlich. Auf der Busfahrt zum Flughafen haben wir brennende Tankstellen, Fabriken und am Boden liegende Männer gesehen. Da bekommt man schon Angst“, so die beiden Salzburgerinnen.
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„Ich habe Schüsse vor dem Hotel gehört. Es herrschte Krieg“, erzählt die Münchnerin.
Österreicher ausgeflogen
Auch österreichische Urlauber wurden nach Deutschland ausgeflogen, von wo sie dann individuell in die Heimat gebracht werden sollten. Die AUA hatte außerdem am Samstagabend 92 österreichische Urlauber mit einer Sondermaschine aus dem Touristenzentrum Monastir direkt in ihre Heimat zurückgeflogen. Eine Tunisair-Linienmaschine, die am Sonntagvormittag aus Tunis kommend in Wien landen sollte, traf dagegen nicht in Schwechat ein. Am Flughafen Wien konnte man keine Auskunft darüber geben, ob die Maschine überhaupt in Tunis abgeflogen war.
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Polizei nimmt Ben Alis Ex-Sicherheitschef und Neffen fest
Die Polizei hat den früheren Sicherheitschef des gestürzten Präsidenten Zine El Abidine, Ben Ali, festgenommen. General Ali Sériati sei im Süden des Landes beim Versuch, ins benachbarte Libyen zu fliehen, von Polizisten und Soldaten gefasst worden. Zeugenberichten zufolge wurde auch ein Neffe des gestürzten Präsidenten festgenommen.
Sériati ist demnach nach Tunis gebracht und dort in Untersuchungshaft genommen worden. Dem tunesischen Fernsehen zufolge wird ihm und mehreren "Komplizen" Unruhestiftung vorgeworfen. Mehrere Zeugen hatten in den vergangenen Tagen Mitglieder des Sicherheitsapparats von Ben Ali für Gewalt und Plünderungen verantwortlich gemacht.
Kaïs Ben Ali, der Neffe des gestürzten Präsidenten, ist den Angaben zufolge mit zehn weiteren Menschen von der Armee im zentraltunesischen Msaken gefasst worden. Die Sicherheitskräfte seien alarmiert worden, da die Verdächtigen in Polizeifahrzeugen durch die Gegend gerast seien und wild um sich geschossen hätten, um Panik auszulösen. Zwei Zeugen bestätigten, dass es sich bei einem Festgenommenen um den Neffen Ben Alis handelte. Kaïs Ben Ali galt als eine einflussreiche Persönlichkeit in Msaken.
130 Tote seit Beginn der Unruhen
Seit Beginn der Unruhen in dem beliebten Urlaubsland sind mehr als 130 Menschen ums Leben gekommen, darunter auch ein deutsch-französischer epa-Fotograf, der am Freitag während der Ausschreitungen aus nächster Nähe von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen worden war. Er erlag am Sonntag in einem Krankenhaus in Tunis seinen Verletzungen.
Neuwahlen innerhalb von zwei Monaten
Übergangspräsident Fouad Mebazaa soll nun Neuwahlen vorbereiten. Der 77-Jährige war schon der zweite Übergangspräsident, der nach der überstürzten Flucht von Ben Ali ernannt worden war. Nachdem sich der Langzeit-Präsident ins Exil nach Saudi-Arabien abgesetzt hatte, war zunächst Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi mit den Amtsgeschäften betraut worden. Mebazaa, der bisher Präsident des Unterhauses des Parlaments war, forderte Ghannouchi zur Bildung einer Einheitsregierung auf. Im Interesse des Landes müssten "ohne Vorbehalte und ohne Ausnahmen" alle politischen Parteien beteiligt werden, auch die Opposition, sagte der 77-jährige in einer ersten Fernsehansprache. Das Verfassungsgericht kündigte Neuwahlen innerhalb von zwei Monaten an.
Ausnahmezustand
Seit der Flucht von Ben Ali gilt in Tunesien der Ausnahmezustand. Der Ex-Präsident Ben Ali hatte das Land 23 Jahre in autoritärer Herrschaft regiert und hinterließ Gewalt und Chaos. Auslöser seines Sturzes waren Massenproteste gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit. Sie hatten sich in der vergangenen Woche zu einem Volksaufstand ausgeweitet.
Lage instabil
Am Samstag waren waren immer wieder Schüsse zu hören gewesen. Vor dem Innenministerium lieferten sich Soldaten und Polizisten ein Feuergefecht mit Angreifern. Insbesondere Geschäfte von Mitgliedern der Familie Ben Alis schienen das Ziel von Übergriffen zu sein. So wurde die Filiale einer vom Schwiegersohn Ben Alis gegründeten Bank in Brand gesteckt, ebenso wie Fahrzeuge der Marken Kia, Fiat und Porsche. Diese waren in Tunesien von Mitgliedern der herrschenden Familie vertrieben worden. Bei einem Gefängnisbrand in der Küstenstadt Monastir kamen Dutzende Gefängnisinsassen ums Leben. Um weitere Tote zu verhindern, wurden rund 1.000 Häftlinge freigelassen.
Lebensmittel werden knapp
Wegen der Unruhen und der nächtlichen Ausgangssperre werden in Tunis inzwischen die Lebensmittel knapp. "Wir haben seit drei Tagen kein Brot mehr bekommen", sagte eine ältere Frau, die Sonntag früh in einer langen Schlange vor der Bäckerei des Zentralmarktes stand. Auf dem Markt waren nur etwa ein Viertel der Stände geöffnet. Händler klagten über ausbleibende Lieferungen wegen der Ausgangssperre.
Ben Ali in Saudi-Arabien
Das saudische Königshaus bestätigte am Samstag, dass Ben Ali und seine Familie in Saudi-Arabien gelandet seien. Die Entscheidung, ihm die Einreise zu erlauben, sei mit Blick auf die "außergewöhnlichen Umstände" getroffen worden, die das tunesische Volk gerade durchmache, hieß es. Man wünsche den Menschen in Tunis Frieden und Sicherheit. Derzeit halte sich Ben Ali 500 Kilometer südlich von Jeddah, in der kleinen Stadt Abha auf.
Kritik von Gaddafi
Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi kritisierte die Proteste. Zu den neuen Machthabern, die Ben Ali nach 23 Jahren im Amt ablösten, sagte er: "Ich kenne diese neuen Leute nicht, aber wir alle kennen Ben Ali und die Veränderungen, die in Tunesien erzielt wurden. Warum zerstört ihr dies alles?" Er sei "schmerzhaft berührt", von dem, was in Tunesien geschehe, sagt er am Samstagabend im libyschen Fernsehen weiter. "Tunesien hat sich jetzt in ein Land verwandelt, das von Banden regiert wird", kritisierte Gaddafi, der selbst seit 40 Jahren an der Macht ist.
USA: WikiLeaks-Enthüllungen nicht für Unruhen verantwortlich
Die USA haben Vorwürfe zurückgewiesen, wonach von Wikileaks veröffentlichte US-Geheimdokumente die Unruhen in Tunesien mitverursacht hätten. In den Dokumenten von US-Diplomaten, die auf der Internetseite von Wikileaks zu sehen waren, wird eine wuchernde Korruption in dem nordafrikanischen Land angedeutet.
Der Sprecher des US-Außenministeriums, P.J. Crowley, sagte am Sonntag, die Tunesier seien sich der Bestechung, der Freunderlwirtschaft und des verschwenderischen Lebensstils von Ex-Präsident Zine El Abidine Ben Ali und dessen Familie bereits lange vor der Veröffentlichungen der Dokumente bewusst gewesen. Einzig das tunesische Volk sei der Katalysator für die Unruhen gewesen, die am Freitag die Flucht von Ben Ali aus Tunesien zur Folge hatten.