Nach Georgien zog nun auch Russland nach und unterzeichnete die Waffenruhe. In Georgien fürchtet man jedoch eine neue Ziehung der Landesgrenzen.
Nach der Unterzeichnung des von der EU vermittelten Waffenstillstandsabkommens zwischen Russland und Georgien wächst der Druck auf Moskau, seine Truppen unverzüglich aus dem georgischen Kerngebiet abzuziehen. US-Präsident George W. Bush begrüßte die Unterzeichnung des Abkommens als "hoffnungsvollen Schritt", forderte aber gleichzeitig, Russland müsse sich nun daran halten und seine Kräfte zurückziehen. Ebenso wie Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier bekräftigte Bush, dass die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien "ein Teil Georgiens" seien und dies auch blieben.
Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet
Wenige Stunden zuvor
hatte Russlands Präsident Dmitri Medwedew das Waffenstillstandsabkommen
unterzeichnet. Der Sechs-Punkte-Plan sieht unter anderem vor, dass sich die
georgischen Truppen in ihre vorherigen Stellungen zurückziehen und die
russische Armee auf ihre Positionen vor Beginn der Kämpfe zurückkehrt. Laut
Punkt Fünf dürfen die russischen Friedenskräfte jedoch "zusätzliche
Sicherheitsmaßnahmen" rund um Südossetien ergreifen, bis ein internationaler
Mechanismus vereinbart ist. Um die praktische Umsetzung dieses Punktes gab
es am Samstag Streit.
Kein genauer Abzugstermin
Nach den Worten des russischen
Außenministers Sergej Lawrow nennt das Abkommen keinen festen Abzugstermin
für die russischen Truppen. Das Dokument, das sowohl von Tiflis als auch
Moskau unterzeichnet wurde, gebe auch keine Obergrenze für die Zahl der
russischen Soldaten in Georgien vor, sagte Lawrow im russischen Fernsehen.
Die russische Armee werde deshalb "so lange wie nötig" auf georgischem Boden
bleiben. Auch hänge ein Rückzug vom Verhalten der georgischen Seite ab.
Begrenztes Mandat
Dem widersprach US-Außenministerin Rice. Die
russischen Soldaten hätten nur ein sehr begrenztes Mandat, betonte sie nach
Beratungen mit Bush auf dessen Ranch im texanischen Crawford. Medwedew haben
dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zugesichert, dass sich die
russischen Truppen aus Georgien zurückziehen würden, sobald Georgiens
Präsident Micheil Saakaschwili den Waffenstillstand unterzeichnet habe.
"Meiner Ansicht nach - und ich stehe in Kontakt mit den Franzosen - halten
die Russen womöglich schon jetzt nicht mehr Wort".
In einem Schreiben an Saakaschwili hatte Sarkozy in der vergangenen Woche offenbar die umstrittene Passage in dem Waffenstillstandsabkommen präzisiert. Demnach dürfen russische Friedenstruppen zwar künftig auch "einige Kilometer" außerhalb der Grenzen Südossetiens auf georgischem Gebiet patrouillieren. Allerdings dürfe davon keine bedeutende Stadt betroffen sein. Dem Dokument zufolge dürfen nur russische Friedenstruppen auf georgischem Gebiet patrouillieren, die durch bereits bestehende Abkommen legitimiert seien.
Russen blockieren Gori
Samstag Früh blockierten russische Panzer
aber weiter die Hauptzufahrt zur Stadt Gori. Auch in Igoeti 40 Kilometer von
Tiflis entfernt hielten gepanzerte russische Fahrzeuge die Stellung. Nach
Angaben des Innenministeriums in Tiflis befinden sich rund tausend russische
Soldaten und südossetische Kämpfer in dem Dorf Achalgori nordöstlich von
Gori, um zu plündern. Georgien warf russischen Truppen zudem vor, sie hätten
eine wichtige Eisenbahnbrücke in der Region Kaspi zerstört. Die
Bahnverbindungen zwischen Ost und West sowie mit den Häfen seien gekappt.
Auf der nächsten Seite: Russland hat Georgien entwaffnet
Die russische Armee hat nach eigenen Angaben den Abtransport oder die Zerstörung georgischer Waffenarsenale fast vollendet.
Gori, Sugdidi, Senaki
Im georgischen Militärstützpunkt Gori sind
tragbare Panzer- und Flugabwehrraketen zerstört worden, dann haben die
Soldaten die Stadt verlassen. Sie befinden sich nur noch in der Kaserne in
Gori. Der Abtransport der Waffen aus dem westgeorgischen Militärstützpunkt
Sugdidi ist beendet, auch dort stehen keine russischen Militärs mehr. Bei
der westgeorgischen Stadt Senaki wurde ein Waffenlager mit US-Gewehren
entdeckt. Rund 1.700 Waffen wurden beschlagnahmt.
Ein Konvoi mit russischen Truppentransportern ist am Freitag bis auf 40 Kilometer an die Hauptstadt Tiflis herangefahren.
Georgierin berichtet aus der Kriegshölle
Medwedew will neue Grenzen
Der russische Präsident hält
jedenfalls die Grenzen Georgiens für nicht mehr tragfähig: "Es
wird für Abchasen und Osseten kaum noch möglich sein, in einem georgischen
Staat zu leben." Russland werde sich bei seinem weiteren Vorgehen "vom
Willen der Bevölkerung in Abchasien und Südossetien leiten lassen",
so Medwedew. In den beiden abtrünnigen Regionen leben zahlreiche russische
Staatsbürger. Die "russischen Friedenssoldaten" werden als "Garanten
der Sicherheit" im Kaukasus bleiben.
Dramatische humanitäre Lage
Die humanitäre Lage in Gori ist
nach Angaben des französischen Botschafters in Tiflis "absolut
dramatisch". Nur tröpfchenweise treffe dort Hilfe ein, sagte Eric
Fournier, der als einer von wenigen ausländischen Vertretern nach Gori
reisen konnte. "Der Gouverneur von Gori bittet um Hilfe (...) Frauen,
Kinder haben nichts zu essen", sagte Fournier weiter.
Im Tauziehen um eine Resolution der Vereinten Nationen zum Konflikt in Georgien startete unterdessen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eine diplomatische Offensive. Er unterbrach am Samstag seinen zweiwöchigen Urlaub, um in New York zu Einzelgesprächen mit den betroffenen UN-Botschaftern zusammenzukommen.
Die westlichen Länder im Sicherheitsrat ringen seit Tagen mit Russland um einen Entwurf für die geplante Friedensresolution. Sie soll den von der EU vorgeschlagenen Sechs-Punkte-Plan zur Entschärfung des Kaukasus-Konflikts in eine bindende Form gießen. Ob es noch am Wochenende zu einer Einigung kommt, war am Samstag zunächst nicht absehbar.
Nächste Seite: die Ereignisse am Donnerstag
Georgien nicht mehr GUS-Mitglied
Georgien ist mittlerweile aus
der GUS ausgeschieden. Das Parlament in Tiflis hat am Donnerstagnachmittag
den Austritt aus dem Staatenbund der ehemaligen Sowjetrepubliken
beschlossen. Die Entscheidung ist eine direkte Konsequenz aus den
Kriegshandlungen mit Russland.
Die GUS wurde 1991 als Zusammenschluss ehemaliger Sowjetrepubliken gegründet. Verbleibende GUS-Mitglieder sind neben Russland Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Kasachstan, Kirgisien, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, die Ukraine und Usbekistan. |
Georgische Gebiete vermint
Das Gebiet rund um Gori, Poti und der
westgeorgischen Stadt Senaki wird von russischen Soldaten vermint. Das sagt
zumindest der Botschafter Georgiens bei der OSZE. Er berichtete auch von
Menschenrechtsverletzungen. Gerüchte über ethnische Säuberungen sind
ebenfalls aufgetaucht. Die OSZE will ihre Militärbeobachter jetzt auf 100
aufstocken. Wann und wo sie zum Einsatz kommen, ist aber noch offen. Genauso
wie die Frage, ob EU-Friedenstruppen gesandt werden.
Russland ortet Völkermord
Die russische Justiz hat
Ermittlungen wegen des Verdachts auf Völkermord durch georgische Truppen in
Südossetien eingeleitet. Rund 100 Ermittler sind in die abtrünnige Region
entsandt, um dem Vorwurf nachzugehen, wonach die georgische Kräfte "Bürger
der Russischen Föderation mit ossetischer Nationalität auslöschten".
Russland erwägt sogar, einen internationalen Gerichtshof für die Causa
Georgien ins Leben zu rufen.
Russen fordern Gewaltverzicht
Russland verlangt außerdem von
Georgien einen vertraglich fixierten Gewaltverzicht. Tiflis soll sich in
einem Abkommen verpflichten, Südossetien und Abchasien nicht anzugreifen.
115.000 - 150.000 Flüchtlinge
Fast 115.000 Menschen sind
laut UNO-Flüchtlingshilfswerk bisher vertrieben worden, die EU-Kommission
spricht sogar von 150.000. Am Donnerstag ist ein zweiter UNHCR-Flug mit 32
Tonnen Hiflsgütern gelandet. Das Hilfswerk beklagt aber, nicht überall
problemlos durchzukommen. Mitunter würden die Helfer von Uniformierten
gestoppt und die Fahrzeuge beschagnahmt.