Nationalstaaten müssten mehr Kompetenzen abgeben, so die deutsche Kanzlerin.
Zum 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer hat sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für eine neue globale Ordnung eingesetzt. Die Nationalstaaten müssten Kompetenzen an multilaterale Organisationen abgeben, sagte Merkel am Montag in Berlin.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) kritisierte, die Rolle der früheren DDR-Bürger beim Mauerfall 1989 werde zu wenig gewürdigt. Bundespräsident Horst Köhler erinnerte auch an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938, in der zahlreiche Synagogen zerstört und jüdische Einrichtungen angegriffen wurden. Am Abend wird in Berlin mit prominenten Staatsgästen ein "Fest der Freiheit" gefeiert.
Beispiel EU
Ein friedliches Zusammenleben in der Welt werde auf
Dauer nur in einer neuen globalen Ordnung möglich sein, sagte Merkel bei der
Wissenschaftskonferenz "Falling Walls" in Berlin. Als Beispiel für
solch eine multilaterale Organisation nannte sie die Europäische Union, die
durch ihre Mitgliedsstaaten gestärkt worden sei, obwohl nicht alle
Entscheidungen aus Brüssel geliebt würden. Merkel rief am 20. Jahrestag des
Mauerfalls zu weiteren Anstrengungen auf, um die unterschiedlichen
Lebensverhältnisse in Ost und West zu überwinden. "Die
deutsche Einheit ist noch nicht vollendet", sagte die Kanzlerin im
ARD-Morgenmagazin.
Gottesdienst
Dem Auftakt der Feiern am Montag bildete ein
ökumenischer Gottesdienst in der Gethsemanekirche, die in der Wendezeit
Versammlungsort von Oppositionellen war. Daran nahmen Merkel, Köhler und
mehrere Regierungsmitglieder teil. Der Vorsitzende der Deutschen
Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sagte in seiner Predigt: "Die
Erinnerung an den 9. November 1989 und nicht weniger die Erinnerung an die
schrecklichen Geschehnisse der Reichspogromnacht am 9. November 1938 lehren
uns unmissverständlich: Mauern, ob real oder in den Köpfen und Herzen der
Menschen, Mauern lösen keine Probleme."
"Heute wollen wir die Freiheit bewahren, die damals erkämpft wurde", sagte der evangelische Berliner Bischof Wolfgang Huber bei der Gedenkfeier in der Kirche. Er erinnerte ebenfalls an die Pogromnacht von 1938, die damals die Nazis in Deutschland und Österreich entfachten. Huber rief zur Wachsamkeit auf, damit in der Freiheit niemand verloren gehe: "Gerade im Osten Deutschlands finden wir uns deshalb mit einer verbreiteten Arbeitslosigkeit nicht ab.".
Andacht
In der Kapelle der Gedenkstätte Berliner Mauer in der
Bernauer Straße fand eine Andacht statt, an der der Regierende Bürgermeister
Klaus Wowereit und sein Vorgänger Walter Momper teilnahmen. Momper, dessen
Erkennungszeichen ein roter Schal war und ist, leitete zur Zeit des
Mauerfalls die Geschicke West-Berlins. "Das war der Tag aller Tage",
sagte der SPD-Politiker rückblickend. "Ich freue mich immer wieder
darüber, dass wir so friedlich zusammengekommen sind." Am
Nachmittag wollte Merkel mit 200 ausgewählten Bürgerrechtlern und Zeitzeugen
über die Bornholmer Straße von Ost nach West gehen. An dieser Stelle wurde
vor 20 Jahren zuerst die Mauer geöffnet.
Unterdessen entwickelte sich ein Streit darüber, wer und wer nicht Anteil am Mauerfall gehabt habe. Thierse monierte, die Darstellung des Mauerfalls gerate im Rückblick in manchen Fällen schief. So sei es falsch, dass Altkanzler Helmut Kohl (CDU) als derjenige hingestellt werde, dem Deutschland die Einheit zu verdanken habe, sagte der SPD-Politiker im Bayerischen Rundfunk. "Nein, die Ostdeutschen haben die Mauer eingedrückt, damit hat Helmut Kohl nichts zu tun."
Dank an Gorbi
Der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich
Genscher (FDP) dankte dem damaligen sowjetischen Präsidenten Michail
Gorbatschow. Er empfinde "Dankbarkeit für die Menschen, die vom Osten
her die Mauer eingedrückt haben, aber auch Dankbarkeit für den Mann, der die
Welt in jenen Jahren verändert hat, nämlich Michail Gorbatschow",
sagte Genscher im Saarländischen Rundfunk.
Der ehemalige polnische Präsident Lech Walesa wiederum bestritt, dass der Mauerfall vor allem Gorbatschow zu verdanken sei. Es sei "eine Lüge", dass Gorbatschow die Mauer zu Fall gebracht habe, sagte der Friedensnobelpreisträger am Montag dem polnischen Fernsehsender tvn24. Viel wichtiger sei die Rolle des damaligen Papstes Johannes Paul II. und der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc gewesen, die Walesa anführte. "Es macht mich heute traurig, dass Helden aus denen gemacht werden, die keine waren", so der damalige Chef der freien polnischen Gewerkschaft Solidarnosc.
Faymann mit dabei
Mit zahlreichen Veranstaltungen wurde den
ganzen Montag in Berlin und anderen deutschen Städten an den Mauerfall
erinner. Bei der zentralen Gedenkfeier am Brandenburger Tor sollten am Abend
die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim und Jon Bon Jovi für das
Rahmenprogramm sorgen. Als Redner waren der frühere sowjetische Präsident
Gorbatschow und der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher
vorgesehen. Zu den Gästen der Feierlichkeiten zählen der russische Präsident
Dmitri Medwedew, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy, der britische
Premierminister Gordon Brown und US-Außenministerin Hillary Clinton. Auch
alle Regierungschefs der EU-Staaten sind geladen, Österreich wird von
Bundeskanzler Werner Faymann (S) vertreten. Weiters sind
Friedensnobelpreisträger unter den Ehrengästen.