Nach Baker-Bericht
Neue Irak-Strategie noch vor Jahresende?
04.12.2006
US-Präsident George W. Bush wird eventuell noch vor Jahresende einen Kurswechsel in der Irak-Strategie vornehmen.
Wie Präsidentensprecher Tony Snow am Mittwochabend (Ortszeit) sagte, müsse Bush zuvor jedoch die am Mittwoch vorgestellten Empfehlungen der so genannten Baker-Kommission mit zwei weiteren von ihm in Auftrag gegebenen Studien zur Irak-Politik (beim Nationalen Sicherheitsrat und dem Generalstab) vergleichen. "Wir hoffen, dass wir bis dahin alles zusammengetragen haben, so dass der Präsident vielleicht zum Jahresende einen neuen Weg nach vorn verkünden kann", sagte Snow.
Bush und Blair beraten heute
Bush und der britische
Premierminister Tony Blair werden heute über ihre künftige Politik gegenüber
dem Golfstaat beraten. Ebenso wie die Experten unter dem Vorsitz des
früheren US-Außenministers James Baker dürfte Blair dabei für einen
regionalen Ansatz und schnelle neue Initiativen zur Lösung der Irak-Krise
werben.
Baker-Report: Kollaps droht
Die Studie der vom früheren
US-Außenminister James Baker und dem Demokraten Lee Hamilton geleiteten
unabhängigen Kommission (hier
Studie downloaden!) hatte unter anderem einen Rückzug der
US-Kampftruppen bis 2008 sowie Verhandlungen mit dem Iran und Syrien
empfohlen. Der Irak befinde sich in einer "ernsten und sich
verschlechternden" Lage, heißt es in dem mit Spannung erwarteten
Bericht der überparteilichen Kommission, der am Mittwoch in Washington Bush
überreicht wurde. Die Kommission zog in ihrem Abschlussbericht eine
schonungslose Analyse der Irak-Politik von Bush. Wenn sich die Lage im Irak
weiter verschlechtere, drohten "der Kollaps der irakischen Regierung
und eine humanitäre Katastrophe".
Rückzug bis 2008
Die
142-seitige Studie empfiehlt einen Rückzug der US-Kampftruppen bis 2008
sowie Verhandlungen der USA mit dem Iran und Syrien. Bush hatte stets einen
Zeitplan für einen Truppenabzug sowie Gespräche mit Teheran und Damaskus
abgelehnt. "Angesichts der Möglichkeiten des Irans und Syriens, die
Ereignisse im Irak zu beeinflussen, und ihres Interesses an der Vermeidung
eines Chaos im Irak, sollten die USA sie konstruktiv einbinden",
empfiehlt die Kommission.
Dringend notwendig sei auch eine neue US-Initiative zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, so das Papier. Die bisherige Strategie müsse geändert und neue Optionen wahrgenommen werden, um den "Albtraum der Gewalt" zu beenden, betonte der republikanische Ex- Außenminister James Baker, der gemeinsam mit dem Demokraten Lee Hamilton die zehnköpfige Kommission geleitet hatte.
Neue diplomatische Initiative
Für die Lösung der Probleme im
Irak gebe es keine "Zauberformel", sagte Baker. Aber es sei "Zeit
für einen neuen Weg vorwärts, für einen neuen Ansatz".
Die Regierung im Irak erreiche derzeit nicht die angestrebten Ziele der
nationalen Versöhnung und der Kontrolle der Sicherheit. Es gehe nun um
einen "verantwortungsvollen" Rückzug der US-Kampftruppen, die
rasche Übertragung der Verantwortung für die Sicherheit im Land auf die
irakische Regierung und eine neue diplomatische Initiative in der Region,
betonte Hamilton.
Irakische Sicherheitskräfte trainieren
Während die
US-Kampftruppen reduziert werden sollten, müssten künftig mehr US-Militärs
die irakischen Sicherheitskräfte trainieren und - in irakische Verbände
integriert - unterstützen. Statt bisher rund 4.000 Soldaten sollten in
Zukunft 20.000 US-Soldaten für die Ausbildung von irakischen Soldaten
eingesetzt werden. Bis 2008 sollten - "vorbehaltlich unerwarteter
Entwicklungen der Sicherheitslage" - alle US-Kampftruppen den Irak
verlassen.
Abgleiten ins Chaos verhindern
Die Kommission warnt
eindringlich vor einer drohenden negativen Entwicklung in Nahost. "Wenn
sich die Lage weiter verschlechtert, können die Folgen schwerwiegend sein.
(...) Ein Abgleiten ins Chaos könnte den Zusammenbruch der irakischen
Regierung und eine humanitäre Katastrophe bewirken." Dann drohten
Interventionen der Nachbarstaaten sowie eine Zunahme der
sunnitisch-schiitischen Spannungen. Auch die Terrororganisation Al-Kaida
würde einen Propagandasieg verbuchen und ihre Operationsbasis im Irak
erweitern. "Die globale Rolle der USA könnte sich verringern, die
Polarisierung der Amerikaner zunehmen."
Bush will Vorschläge aufnehmen
Bush betonte, dass er die 79
Vorschläge der Kommission "sehr ernst nehmen" werde. Der
Bericht biete eine Chance für eine neue Einigkeit in der Irak-Politik der
USA. Das Land sei des "politischen Gezänks" in Washington
leid, sagte Bush. Nun gehe es darum, überparteilich gemeinsame Grundlagen zu
finden.
Blair: Sieg nicht in Sicht
Ein Sieg im Irak ist
nach Einschätzung des britischen Premierministers Tony Blair derzeit nicht
in Sicht. Der Westen müsse aber weiterhin versuchen, den Einsatz zu einem
Erfolg zu machen und die selbst gesetzten Ziele zu verwirklichen, sagte
Blair am Mittwoch im Unterhaus in London. Am Vortag hatte bereits der
designierte US- Verteidigungsminister Robert Gates bei einer Anhörung auf
die Frage, ob die USA dabei seien, den Krieg zu gewinnen, mit Nein
geantwortet. Blair will am Donnerstag in Washington mit Bush über die
Entwicklung im Irak beraten. Blair wirbt bereits seit längerer Zeit für eine
diplomatische Gesamtlösung für den Nahen Osten, an der auch
Staaten wie Syrien und der Iran beteiligt werden.
Kritik aus dem Irak
Im Irak stießen die Empfehlungen der
Baker-Kommission auf Kritik. Die Drohung, dass die USA ihre Unterstützung
für die Regierung in Bagdad einschränkten, sei "ungerecht",
sagte der Parlamentsabgeordnete Mahmoud Othman. "Die USA sehen sich als
Besatzungsmacht, und als solche tragen sie laut Genfer Konventionen für das
Land Verantwortung." Bassim Ridha, ein Berater von Ministerpräsidfent
Nouri al-Maliki, sagte: "Wir brauchen die Unterstützung der USA, um
voranzukommen."