Was treibt das Regime zu vernuftwidrigen Handlungen? Hält der kranke Diktator noch alle Fäden in der Hand?
In diesen Tagen kursieren über ihn mal wieder Namen wie "Verrückter mit der Bombe", "Zombie" oder "Dr. Seltsam": Nordkoreas 67-jährigem Machthaber Kim Jong-il wird im Westen auch schon mal Größenwahn unterstellt, weil er sich seit langem mit der Supermacht USA anlegt. Mit dem Start einer Langstreckenrakete im April und dem zweiten Atomtest am Montag brachte Nordkorea erneut die ganze internationale Staatengemeinschaft gegen sich auf.
Krankheiten
Nur zwei Tage nach dem Test stieß das Regime zudem
wüste Kriegsdrohungen gegen Südkorea aus. Menschen in aller Welt fragen sich
deshalb, was Kim und sein Regime eigentlich antreibt, scheinbar wider alle
Vernunft zu handeln. Zugleich gilt als ungewiss, ob der von Krankheiten
gezeichnete Kim überhaupt noch die volle Kontrolle in seinem
Herrschaftsbereich ausübt.
Rationale Strategie
Dagegen sind Experten in der Region davon
überzeugt, dass Kim im Streit um das umstrittene Atomprogramm des Landes
durchaus eine rationale Strategie verfolgt. Durch die Erhöhung des Einsatzes
im Atompoker glaubt Kim demnach, die USA nicht nur zum Dialog, sondern auch
zu weiteren Zugeständnissen zwingen zu können. Viele sprechen auch von
politischer Erpressung. Kim geht demnach davon aus, dass kein Land in der
Region an einem weiteren Krieg auf der koreanischen Halbinsel Interesse hat.
Wahnhaft
Als wahnhaft dagegen gilt Kims Verlangen nach Sicherheit
und seine Überzeugung, dass das verarmte und wirtschaftlich so gut wie
ruinierte Land bis an die Zähne bewaffnen sein muss, um nach außen hin gegen
Feinde geschützt zu sein. Den Nordkoreanern wird schon vom Kindergartenalter
an ein Feindbild USA suggeriert. Auch erwecken die Drohungen mit
Militäraktionen gegen Südkorea die Befürchtung, dass Nordkorea trotz
waffentechnischer Unterlegenheit vor einem Krieg nicht zurückschrecken
könnte. Wie die Kontrollfunktionen zwischen Regierung, dem mächtigen Militär
und der Partei in dem weitgehend abgeschotteten Staat funktionieren, gilt
als schwer durchschaubar.
Machtkämpfe
Hinzu kommt, dass Beobachter schon seit längerem
Zeichen für Positionskämpfe zwischen den einflussreichen Kreisen sehen, die
sich auf die Zeit nach Kim vorbereiten. Die Befürchtung: Das Land könnte
dadurch weiter destabilisiert werden. Nordkorea könnte sich zu neuen
Provokationen hinreißen lassen. Nach mehr als einem Jahrzehnt an der Spitze
des stalinistischen Staates wird auch über Kims Politik oftmals nur
spekuliert. Das gleiche gilt für Kims Privatleben. Das meiste, was die
Außenwelt über den im Schatten des früheren Staatschefs und "Übervaters" Kim
Il-sung aufgestiegenen Diktators weiß, stammt aus der unerschöpflichen
Propagandamühle Pjöngjangs, die ihn als Halbgott und "Genie in Literatur,
Kunst und Kriegskunst" verehrt.
Rätselhafte Person
Für viele Menschen bleibt Kim deshalb
eine rätselhafte Erscheinung. Verlässliche Informationen über Kim, der einst
als Lebemann galt und dem Alkohol und gutem Essen zugetan war, gibt es kaum.
Während er außerhalb seines geschlossenen Machtbereichs als unberechenbare
Größe gilt, charakterisierte ihn der frühere südkoreanische Präsident Kim
Dae-jung als jemanden mit "gesundem Menschenverstand", der sehr wohl wisse,
was in der Welt vorgeht.