Verhandlungsauftakt

Demjanjuk ist prozessfähig

30.11.2009

Der 89-Jährige muss sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten. Es ist der letzte große NS-Kriegsverbrecherprozess.

Zur Vollversion des Artikels
© Reuters
Zur Vollversion des Artikels

Nach monatelangem Tauziehen um seine Auslieferung muss sich der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk seit Montag in München wegen Mithilfe beim Mord an 27.900 Juden verantworten. Der 89-jährige gebürtige Ukrainer soll als Kriegsgefangener mit den Nazis kollaboriert und sich am Massenmord im Vernichtungslager Sobibor beteiligt haben. Es dürfte einer der letzten NS-Verbrecherprozesse weltweit sein. Bis Mai 2010 sind vorerst 35 Verhandlungstage angesetzt und 23 Zeugen benannt worden. Da Demjanjuk bisher zu den Vorwürfen schweigt, wird ein langwieriger Indizienprozess erwartet.

Die Anwälte stellten Demjanjuk zum Auftakt als Opfer dar, genauso einzustufen wie Juden, die von den Nazis zum Helfen gezwungen wurden, etwa wie der im Prozess als Nebenkläger auftretende Sobibor-Überlebende Thomas Blatt. "Indem sie für die Deutschen tätig wurden, haben sie nur ihr eigenes Leben retten wollen", sagte Verteidiger Ulrich Busch vor dem Landgericht München II über die gefürchteten Trawniki und erntete heftige Kritik von Opferangehörigen und KZ- Überlebenden. Busch stellte einen Befangenheitsantrag gegen Gericht und Anklage. Demjanjuk könne kein Vertrauen in die Justiz haben, da deutsche SS-Männer in früheren Prozessen freigesprochen worden seien. Andere Trawniki, denen Mordtaten nachweisbar seien, seien frei.

 
(c) APA

Opfer geht es um symbolische Bedeutung der Verhandlung
Nebenkläger aus den Niederlanden sprachen dem Gericht anschließend hingegen ihr Vertrauen aus. "Wir haben den Eindruck, dass das hier eine unabhängige und nicht indoktrinierte Beurteilung ist", sagte ein Nebenkläger in einer Pressekonferenz. Den Überlebenden und Angehörigen der Opfer gehe es vor allem die symbolische Bedeutung der Verhandlung, um an die Opfer des NS-Regimes zu erinnern.

Drei Gutachter bescheinigten dem Greis, der einmal im Rollstuhl und einmal auf einer Trage in den Gerichtssaal geschoben wurde, erneut eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit. Zweimal 90 Minuten am Tag seien möglich. Dass Demjanjuk während der gesamten Verhandlung die Augen geschlossen hielt, bedeute nicht, dass er dem Prozess nicht folgen könne. Vielmehr sei er wahrscheinlich auf die Übersetzung in seine Muttersprache Ukrainisch konzentriert. "Er war voll ansprechbar, voll kommunikationsfähig", sagte der Mediziner Albrecht Stein nach einer Unterbrechung, in der Demjanjuk eine Schmerzspritze bekam. Anzeichen von Demenz gebe es nicht, ergänzte eine psychiatrische Gutachterin.


John Demjanjuk wird auf einer Trage in den Gerichtssaal befördert. (c) APA

Der Münchner Professor Christoph Nerl erläuterte, Demjanjuks Blutkrankheit verlaufe bisher in ihrer leichtesten Form, es gebe keine Zeichen von einem Übergang zur Leukämie. Die Blutwerte Demjanjuks, der seit seiner Abschiebung aus den USA in der Krankenstation der Haftanstalt Stadelheim untergebracht ist, seien sogar besser als in den USA. Er sei konsequent behandelt worden.

Prozess begann mit einstündiger Verspätung
Wegen chaotischer Zustände beim Einlassen der Öffentlichkeit begann der Prozess mit einstündiger Verspätung. Besucher und Journalisten harrten stundenlang in der Kälte vor dem Gerichtsgebäude in einer sogenannten Demjanjuk-"Sammelzone" aus, bevor sie eingelassen und unter weiteren großem Zeitaufwand durch Sicherheitskontrollen geschoben wurden.

Zum Auftakt des Prozesses unter Vorsitz von Richter Ralph Alt kamen rund 20 Nebenkläger, die ihre Angehörigen in Sobibor verloren haben. Auch der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, reiste an, ebenso die Journalistin Beate Klarsfeld und ihr Mann, der Anwalt Serge Klarsfeld, die seit Jahrzehnten gegen die Vertuschung von Naziverbrechen kämpfen.

Nummer 1393
Hauptbeweismittel der Ankläger ist ein SS-Dienstausweis mit der Nummer 1393. Die Verteidigung von Demjanjuk bezweifelte die Echtheit des Dokuments. Staatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch betonte kurz vor Prozessbeginn, er halte die Beweismittel für ausreichend.

Keiner der noch lebenden Zeugen kann sich konkret an Handlungen Demjanjuks bei der Ermordung von Juden erinnern. Doch die Anklage folgert, dass in Sobibor stets das gesamte Personal am Morden beteiligt war, wenn die Gefangenentransporte eintrafen. Denn das Lager diente allein der Vernichtung von Menschen. Bis zu 150 sowjetische Kriegsgefangene und 30 SS-Leute waren im Einsatz.

Sowjetsoldat
Demjanjuk war 1942 als Sowjetsoldat in Gefangenschaft geraten und nach der Ausbildung zum Wachmann im SS-Lager Trawniki in Sobibor sowie später im KZ Flossenbürg eingesetzt worden sein. Einer der Hauptzeugen ist ein anderer Trawniki, der mit Demjanjuk in Flossenbürg war.

Nach dem Krieg lebte Demjanjuk unter anderem in Feldafing in Oberbayern, bevor er in den 1950er Jahren nach Cleveland (US-Staat Ohio) auswanderte und US-Bürger wurde. Als sich die Vorwürfe gegen ihn verdichteten, entzogen ihm die USA die Staatsbürgerschaft. Im Mai wurde Demjanjuk nach Deutschland abgeschoben. Bereits 1988 war Demjanjuk in Israel als "Iwan der Schreckliche" aus dem Vernichtungslager Treblinka zum Tode verurteilt worden. 1993 wurde das Urteil aber aufgehoben, weil Zweifel an seiner Identität auftauchten.

Zur Vollversion des Artikels
Weitere Artikel