US-Präsident Barack Obama hat am Sonntag in Prag vor rund 20.000 Zuhörern für seine Vision einer Welt ohne Atomwaffen geworben. "Yes we can", sagte er in Anspielung auf seinen bekannten Wahlkampfslogan zur Umsetzung dieses Ziels.
Eine Welt ohne Atomwaffen sei möglich. Dazu bedürfe es aber einer globalen Kraftanstrengung. Zudem würdigte US-Präsident Barack Obama die Verdienste der Tschechen bei der Überwindung des kommunistischen Regimes und rief angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise zu einer engen Kooperation auf. Die Deutsche Presse-Agentur dpa dokumentiert nach einer Übersetzung der ARD Auszüge von Obamas Rede im Wortlaut.
"Heute bin ich stolz, hier zu stehen, hier mit Ihnen zusammen, in dieser großartigen Stadt im Herzen Europas. (...) Als ich geboren wurde, war die Welt geteilt. Und unsere Nationen sahen sich schwierigen Umständen ausgesetzt, gegen die sie ankämpfen mussten.
Wenige Menschen hätten prophezeien können, dass jemand wie ich eines Tages Präsident der Vereinigten Staaten würde. Wenige Menschen hätten vorhersagen können, dass der amerikanische Präsident eines Tages zu einem Publikum, zu den Menschen hier in Prag sprechen kann. Wenige hätten sich vorstellen können, dass die Tschechische Republik eine freie Nation wird, ein Mitglied der NATO. Ein Führer eines geeinten Europas. Solche Vorstellungen hätte man als Träumereien abgetan. Viele haben die Stimmen derer ignoriert, die gesagt haben, dass die Welt sich verändern kann. (...)
Wir sind heute hier, weil vor 20 Jahren die Menschen hier auf die Straße gegangen sind, um die Verheißung eines neuen Tages zu proklamieren und das zu fordern, was man ihnen so lange vorenthalten hatte. Die samtene Revolution lehrt uns viele Dinge. (...) So zeigt sie, dass die moralische Führungskraft stärker ist als jede Waffe.
Und deswegen spreche ich jetzt heute zu Ihnen im Herzen eines Europas, das friedlich ist und frei und einig. Weil einfache Menschen geglaubt haben, dass eine solche Vision möglich ist, auch wenn die Politiker das nicht geglaubt haben. Sie haben geglaubt, dass die Mauern stürzen, dass der Friede einkehrt. (...)
Wir haben eine gemeinsame Geschichte. Aber diese Generation, unsere Generation kann jetzt nicht stillstehen, nicht auf der Stelle treten. Auch wir müssen eine Entscheidung treffen. Die Welt ist nun weniger geteilt, ist immer vernetzter geworden. Und wir sehen, dass die Ereignisse schneller vonstatten gehen als unsere Möglichkeiten sie zu steuern. Die Weltwirtschaft in der Krise, Klimawandel, die Gefahren alter Konflikte, neue Bedrohungen und die Verbreitung katastrophaler Waffen.
Keine dieser Herausforderungen lassen sich rasch oder einfach lösen. Aber alle verlangen, dass wir einander zuhören und zusammenarbeiten. Dass wir uns auf die gemeinsamen Interessen konzentrieren und nicht auf unsere gelegentlichen Differenzen. Und dass wir unsere gemeinsamen Werte bekräftigen, die stärker sind als jede Macht und jede Gewalt, die uns trennen kann.
Diese Arbeit müssen wir voranbringen und für diese Arbeit bin ich nach Europa gekommen. (...) Um unseren Wohlstand zu erneuern, brauchen wir Maßnahmen, die über die Grenzen hinweg koordiniert werden. Investitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, dem Protektionismus widerstehen, der das Wachstum behindert, eine Veränderung in unserem Finanzsystem mit neuen Regeln zur Verhinderung von Missbrauch, zur Verhinderung zukünftiger Krisen.
Wir haben die Pflicht gegenüber unserem gemeinsamen Wohlstand und Wohlergehen, dass wir auch den Schwellenländern die Hand reichen und denjenigen, die am meisten an der Krise leiden, obwohl an der Verursachung der Finanzkrise am wenigsten beteiligt waren. Deshalb haben wir über eine Billion Dollar bereit gestellt für den internationalen Währungsfonds. Dies wurde diese Woche entschieden, um sicherzustellen, dass jeder Unterstützung bekommt, jeder! (...)
Jetzt müssen wir den Klimawandel angehen und die Abhängigkeit der Erde von fossilen Brennstoffen verringern. Wir müssen neue Energieträger wie Wind erschließen, die Sonne. Und wir müssen alle Völker und Nationen aufrufen, ihren Beitrag zu leisten. Und ich sage Ihnen, dass bei dieser globalen Anstrengung die Vereinigten Staaten jetzt bereit sind, eine federführende Rolle einzunehmen. (...)
Ein Thema, das ganz entscheidend für die Sicherheit der Nationen ist und für Frieden in der Welt, die Zukunft der Atomwaffen im 21. Jahrhundert. Die Existenz Tausender von Atomwaffen ist das gefährlichste Erbe des kalten Krieges. Es gab keinen Atomkrieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, aber Generationen mussten mit dem Wissen leben, dass ihre Welt ausgelöscht werden konnte. In einem einzigen Lichtblitz. Städte wie Prag, die seit Jahrhunderten existieren, die Schönheit und das Talent von einem Großteil der Menschen verkörpern, würden ausgelöscht.
Der Kalte Krieg ist zu Ende gegangen. Und Tausende von diesen Waffen existieren weiter. Es ist eine seltsame Wendung der Geschichte: Die Gefahr eines weltweiten Atomkriegs hat sich verringert, das Risiko eines atomaren Angriffs ist gestiegen. Mehrere Nationen haben solche Waffen entwickelt, die Tests gehen weiter, der Handel auf dem Schwarzmarkt mit spaltbarem Material blüht. Die Technologie zum Bau einer Bombe wurde verbreitet.
Die Terroristen sind entschlossen, eine solche Waffe zu kaufen, zu bauen oder zu stehlen. Und deswegen brauchen wir weltweites ein Nichtverbreitungssystem. Denn immer mehr Menschen und auch Nationen können sonst die Regeln brechen und dann könnten wir einen Punkt ohne Wiederkehr erreichen.
Sie müssen wissen, dass das für die Menschen überall wichtig ist. Eine Nuklearwaffe, die in einer Stadt explodiert - ob das New York oder Moskau wäre, Islamabad oder Mumbai, Tokio oder Tel Aviv, Paris oder Prag - ein solches Ereignis könnte Hunderttausenden von Menschen das Leben kosten. Und unabhängig davon wo so etwas passieren würde, wären die Konsequenzen unabsehbar für unsere globale Sicherheit, die Gesellschaft, die Wirtschaft, unser Überleben.
Einige sagen, dass sich die Verbreitung dieser Waffen nicht stoppen lässt, sich nicht kontrollieren lässt, dass wir das Schicksal akzeptieren müssen, wo immer mehr Menschen und Völker diese schrecklichen Vernichtungswaffen besitzen. Ein solcher Fatalismus wäre ein tödlicher Gegner. Denn wenn wir glauben, dass die Verbreitung von Nuklearwaffen nicht vermeidbar ist, dann geben wir vor uns selber zu, dass der Einsatz von Nuklearwaffen unvermeidbar ist. Wir traten im 20. Jahrhundert für die Freiheit ein. Jetzt müssen wir zusammen eintreten für das Recht aller Menschen und überall, frei und ohne Furcht im 21. Jahrhundert zu leben!
Als Nuklearmacht, als einzige Atommacht, die diese Nuklearwaffe eingesetzt hat, haben die Vereinigten Staaten eine moralische Verpflichtung, hier zu handeln. Wir können das nicht alleine leisten, aber wir können führend dabei sein. Wir können das einleiten. Ich möchte heute also ganz deutlich und mit Überzeugung Amerikas Bereitschaft erklären, den Frieden und die Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen anzustreben.
Ich bin nicht naiv. Das Ziel wird sich nicht rasch erreichen lassen. Vielleicht auch nicht in der Zeit meines Lebens. Es wird Geduld und Beharrlichkeit erfordern. Aber jetzt müssen wir die Stimmen jener ignorieren, die sagen, dass die Welt sich nicht ändern kann. Wir müssen darauf bestehen und sagen: Yes, we can. (...)
Zunächst einmal werden die Vereinigten Staaten konkrete Schritte einleiten, um zu einer Welt ohne Atomwaffen zu gelangen. Das Denken des kalten Krieges zu beenden, dafür brauchen wir eine Reduzierung der Rolle der Nuklearwaffen in unserer eigenen nationalen Sicherheitsstrategie. Andere mögen das gleiche tun.
Aber damit kein Missverständnis entsteht: Solange diese Waffen existieren, werden die USA ein sicheres und effektives Arsenal behalten, um jeden Gegner potenziell abzuschrecken und unseren Verbündeten (...) zur Hilfe kommen zu können. Aber wir werden die Arbeit an der Reduzierung unseres Arsenals einleiten, unsere Gefechtsköpfe und Arsenale reduzieren. Und dafür werden wir einen neuen Vertrag zur Reduzierung strategischer Waffen in diesem Jahr mit Russland verhandeln.
Präsident Medwedew und ich haben diesen Prozess in London eingeleitet und werden eine neue Vereinbarung bis zum Ende des Jahres anstreben, die rechtsverbindlich und mutig sein wird. Das wird die Vorbereitung und Grundlage weiterer Reduzierungen sein. Wir werden alle Mächte, alle Nuklearmächte an dieser Anstrengung beteiligen.
Um ein globales Testverbot ebenfalls zu erreichen, wird meine Regierung sofort und ganz offiziell die Ratifizierung des Abkommens zum Teststopp einleiten. Nach über fünf Jahrzehnten der Gespräche ist es jetzt Zeit, dass die Tests von Nuklearwaffen endgültig verboten werden. Um auch um die Bausteine einer möglichen Bombe zu blockieren, muss ein Mittel gefunden werden, dass die Produktion spaltbaren Materials verhindert, das in Nuklearwaffen einsatzfähig wäre. Das ist der erste Schritt.
Und zweitens müssen wir zusammen den Vertrag zur Nichtverbreitung von Nuklearwaffen als Basis der Kooperation stärken. Das Angebot lautet: Länder mit Nuklearwaffen rüsten ab, Länder ohne Atomwaffen streben nicht nach ihnen und alle Länder können Zugang zur friedlichen Nutzung von Atomenergie bekommen.
Um den Vertrag zu stärken, sollten wir mehrere Prinzipien stärken. Wir brauchen mehr Ressourcen, mehr Autorität für internationale Inspektionen. Unmittelbare Konsequenzen muss es geben für Länder, die die Regeln ignorieren oder die ohne Grund versuchen, die Grundlagen des Vertrags zu verlassen.
Und wir brauchen einen neuen Rahmen für die zivile nukleare Kooperation. Eine internationale Bank vertreibt Material, so dass Länder Zugang haben für die friedliche Nutzung, ohne dass es das Risiko der Weiterverbreitung gibt. Das muss für jede Nation gelten, die auf Nuklearwaffen verzichtet. Vor allem auch für Entwicklungsländer, die die Energie nutzen möchten. (...)
Gleichzeitig haben wir keine Illusionen bei unserem Vorgehen. Einige Länder werden die Regeln missachten. Und deshalb brauchen wir eine Struktur, die sicherstellt, dass es bei einer Missachtung Konsequenzen für das entsprechende Land geben wird.
Gerade heute morgen wurden wir noch einmal daran erinnert, warum wir einen neuen, energischeren, konsequenteren Ansatz gegen diese Bedrohung brauchen. Nordkorea hat erneut Regeln missachtet durch den Test einer Rakete, die für eine Langstreckenwaffe einsatzfähig wäre. Diese Provokation unterstreicht die Maßnahmen, die notwendig sind. (...) Regeln müssen eingehalten und ihre Verletzungen bestraft werden. Worte müssen etwas bedeuten, die Welt muss Schulter an Schulter stehen, um die Verbreitung dieser Waffen zu verhindern. Jetzt ist es an der Zeit für eine starke internationale Reaktion!
(...) Der Iran kann eine Nuklearwaffe bauen. Wir möchten mit dem Iran sprechen auf der Grundlage gegenseitigen Respekts. Wir glauben an den Dialog! Aber in diesem Dialog werden wir auch eine ganz klare Entscheidung vortragen. Wir wollen, dass der Iran den ihm gebührenden Platz in der Völkerwirtschaft einnimmt, politisch wie wirtschaftlich. Wir werden das Recht des Iran unterstützen, auf die friedliche Nutzung der Atomenergie. Das ist eine Möglichkeit für das Volk und die Regierung des Iran. Die andere Möglichkeit wäre eine stärkere Isolation, internationaler Druck und ein potenzielles Wettrüsten in der Region mit Atomwaffen als Sicherheitsbedrohung für uns alle.
(...) Wir brauchen eine Verteidigung vor solchen Waffen. Und solange es den Iran und andere Bedrohungen gibt, werden wir auch solche Raketenabwehrsysteme brauchen. Wenn die Bedrohung im Iran eliminiert werden kann, dann haben wir eine stärkere Grundlage für die Sicherheit. Und: ein Hauptgrund für eine Raketenabwehr in Europa wird nicht mehr bestehen.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass wir sicherstellen müssen, dass Terroristen nie in den Besitz einer Nuklearwaffe kommen. Das ist die unmittelbarste und stärkste Bedrohung für die internationale Sicherheit. Ein Terrorist, mit einer Atomwaffe könnte hier eine massive Zerstörung anrichten. Al Kaida hat bereits gesagt, dass sie eine solche Waffe anstreben. Und sie hätten kein Problem damit, eine solche Waffen einzusetzen. Wir wissen auch, dass es ungesichertes, waffenfähiges Material auf der ganzen Welt gibt.
Um unsere Menschen, unsere Völker zu schützen, müssen wir entschlossen und unverzüglich handeln. Deswegen möchte ich heute eine internationale Anstrengung ankündigen, alles spaltbare Material auf der Welt innerhalb von vier Jahren zu sicheren. Neue Standards und Normen zu schaffen, eine stärkere Kooperation mit Russland einzuleiten, um alle Möglichkeiten zu verfolgen, dieses Material unter Kontrolle zu bekommen. Dann müssen wir die schwarzen Märkte unter Kontrolle bekommen, den Handel unterbinden und alle Instrumente einsetzen, um diesen gefährlichen Handel zu unterbinden.
Wenn diese Bedrohung weiter geht, dann wird es keine Sicherheit auf der Welt geben (...). Wir brauchen auch einen globalen Gipfel zur nuklearen Sicherheit, der im kommenden Jahr, im Laufe eines Jahres in den USA stattfinden wird. Ich weiß, dass einige es in Frage stellen, ob wir eine so breit angelegte Agenda wirklich verfolgen können. (...) Wir dürfen uns nicht über unsere Differenzen definieren. Wenn wir nicht den Frieden gemeinsam anstreben, dann wird ein solches Ziel nicht erreichbar sein. Wir wissen, wohin der Weg führt, wenn wir der Furcht die Oberhand gewähren über die Hoffnung. Wenn wir den Ruf nach Kooperation abtun, wäre das sehr leicht ein Ausweg, aber auch feige. So beginnen Kriege, so endet der Fortschritt der Menschheit.
Ja, es gibt Gewalt und Ungerechtigkeit auf der Welt, die wir bekämpfen müssen. Aber wir kämpfen. Wir müssen sie bekämpfen, nicht indem wir uns teilen lassen, sondern indem wir als freie Nationen und freie Menschen zusammenstehen. Ich weiß, dass der Aufruf zu Waffen die Seelen der Menschen mehr in Aufruhr versetzt als ein Aufruf gegen diese Waffen vorzugehen. Aber deswegen müssen wir umso mehr zusammen dazu aufrufen und zusammen uns dafür einsetzen.
Das sind die Stimmen, die wir immer noch auf den Straßen Prags hören. Das sind immer noch die Gespenster, die Echos der Vergangenheit. Das sind die Klänge der samtenen Revolution. Das sind die Stimmen, die es geschafft haben, eine Atommacht zu Fall zu bekommen, ohne dass ein Schuss abgegeben wurde.
Das geschah hier in Prag. Und hier in Prag müssen wir unsere Vergangenheit ehren, indem wir uns für eine bessere Zukunft einsetzen, unsere Einigkeit gewinnen, Differenzen überwinden, die gemeinsame Verantwortung akzeptieren, Frieden und Wohlstand zu schaffen, so dass die Welt dann besser ist als wir sie vorgefunden haben. Zusammen können wir das schaffen!"