Weniger Pomp

Prag übernimmt EU-Vorsitz von Paris

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Der Wechsel zu Neujahr bringt nicht nur ein anderes Land, sondern auch eine andere Inszenierung: "Sonnenkönig geht, Schwejk kommt".

Wenn die EU-Ratspräsidentschaft mit dem Jahreswechsel von Paris nach Prag rotiert, wird sich das neue Vorsitzland vom alten deutlich unterscheiden. Tschechien ist im Vergleich zu Frankreich nicht nur deutlich kleiner. Es trat erst vor beinahe fünf Jahren der EU bei und gehörte vor gut 20 Jahren noch dem kommunistischen "Ostblock" an.

Schwejk statt Sonnenkönig
Auch im Stil gibt es Unterschiede. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy verkörperte während seines EU-Vorsitzes einen nahezu imperialen Führungsanspruch in Europa. Aus Prag weht ein anderer Wind ohne Pomp und Inszenierung. "Sonnenkönig geht, Schwejk kommt", titelte "die Presse".

Topolanek hat's nicht leicht
In den kommenden sechs Monaten wird Ministerpräsident Mirek Topolanek an der Spitze der EU stehen. In Tschechien ist der 52-jährige Nordmährer Vorsitzender der konservativen und zum Teil EU-skeptischen Demokratischen Bürgerpartei ODS. Und er ist innenpolitisch angeschlagen - was sich vor etwa einer Woche erneut zeigte. Das Parlament in Prag lehnte die Regierungspläne zur Verlängerung der Auslandseinsätze des tschechischen Heeres einfach ab.

Hilfe von Schwarzenberg und Vondra
Für seine EU-Rolle wird Topolanek auf die Unterstützung von Außenminister Karel Schwarzenberg und dem für EU-Fragen zuständigen Vizepremier Alexandr Vondra zählen können. Weniger Unterstützung ist von Präsident Vaclav Klaus zu erwarten, dem auch die Sorge einiger Europäer gilt.

Klaus mag die EU nicht
Klaus geizt nicht mit kritischen Bemerkungen zur EU allgemein und zum EU-Reformvertrag im Besonderen. Das Staatsoberhaupt befürchtet eine Einschränkung der Souveränität seines Landes. Dass Klaus in Irland den Anführer der "No"-Referendumskampagne traf, missfiel der Regierung in Dublin. Als der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit dem tschechischen Präsidenten dieses Treffen vorwarf und ihm die EU-Fahne überreichen wollte, kam es zum nächsten Eklat. Es folgte ein scharfer Wortwechsel, den Klaus später veröffentlichen ließ.

Keine EU-Fahne am Hradschin
Zuletzt lieferte sich Klaus ein Wortgefecht mit seinem französischen Amtskollegen. Ohne Sarkozy direkt zu nennen, sagte Klaus, dass dieser Europa schade. Menschen wie Sarkozy würden den europäischen Grundwert des Respekts für unterschiedliche Meinungen "mit Füßen treten". Sarkozy seinerseits hatte davor indirekt Klaus kritisiert, weil nicht auf allen öffentlichen Gebäuden in Tschechien die EU-Fahne weht. Klaus weigert sich nämlich, die blaue Flagge mit dem Sternenkranz auf der Prager Burg zu hissen. Fraglich scheint außerdem, ob der tschechische Präsident je seine Unterschrift unter den EU-Reformvertrag setzen wird.

Vertrag von Lissabon unbeliebt
Tschechien hat als einziges EU-Land noch nicht über den Vertrag von Lissabon abgestimmt. Nachdem das Verfassungsgericht seine Zustimmung zur Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses gegeben hatte, kam das Thema im Dezember zwar auf die Agenda beider Parlamentskammern. Auf Initiative von Topolaneks ODS wurde es aber gleich wieder verschoben. Im Februar soll der Lissabon-Vertrag gemeinsam mit den Verträgen für ein US-Radar in Tschechien behandelt werden. Im Gegensatz zum EU-Abkommen ist der von den USA geplante Raketenschild in der ODS unumstritten.

Tschechiens Schwerpunkte

  • Die transatlantische Ausrichtung Prags könnte den Beziehungen zwischen der EU und den USA zugute kommen. Die tschechische Regierung will den neuen US-Präsidenten Barack Obama nach seinem Amtsantritt am 20. Jänner zu einem EU-USA-Gipfel nach Prag einladen, womöglich im April.
  • Ein weiterer Schwerpunkt des tschechischen EU-Vorsitzes besteht darin, die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Der EU-Stabilitätspakt und die Lissabon-Strategie soll aus der Sicht Prags trotz Finanzkrise eingehalten werden.
  • Eine Priorität Tschechiens ist darüber hinaus die Energie-Versorgungssicherheit der EU durch Drittstaaten. In diesem Zusammenhang sind zwei "Nuklearforen" geplant.
  • In Sachen EU-Erweiterung will Prag Fortschritte machen. Die Weichen für den Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien sollen trotz des Vetos von Slowenien gestellt werden. Serbien und Montenegro hoffen auf offiziellen EU-Kandidatenstatus. Auch die Türkei kann in ihren Beitrittsverhandlungen auf Unterstützung aus Prag zählen.
  • Und das EU-Projekt einer östlichen Partnerschaft, die Staaten wie die Ukraine oder Georgien enger an die EU binden soll, steht ebenfalls hoch auf der tschechischen Rats-Agenda.
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