Gipfel in Lissabon

Reformvertrag ist beschlossen

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Mit der Einigung auf einen Reformvertrag haben die EU-Staaten Europa auf eine neue Grundlage gestellt und die jahrelange Verfassungskrise überwunden.

Nach zähen Verhandlungen segneten die EU-Staats- und Regierungschefs in der Nacht auf Freitag in Lissabon den Vertrag ab, der die EU demokratischer und effizienter machen soll. Der "Vertrag von Lissabon" soll am 13. Dezember in der portugiesischen Hauptstadt unterzeichnet werden und vor den Europawahlen 2009 in Kraft treten. Er ersetzt die ursprünglich geplante Verfassung, die am Nein der Franzosen und Niederländer gescheitert war.

Alle Regierungen zufrieden
Der Durchbruch in Lissabon wurde von allen Regierungen begrüßt. Der portugiesische EU-Ratspräsident Jose Socrates sagte, mit dem Vertrag habe die EU "ihre institutionelle Krise überwunden". Europa komme nun endlich aus der Sackgasse. Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (S) meinte, nun sei die "sechsjährige Selbstbeschäftigung der Union abgeschlossen", die EU könne sich in Zukunft "wieder in stärkerem Ausmaß mit dem auseinandersetzen, was den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich unter den Nägeln brennt". "Wir sind wieder handlungsfähig", sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Ähnlich äußerte sich Bundespräsident Heinz Fischer. Die EU könne sich nun "im Interesse ihrer Bürger den großen Herausforderungen in Europa und weltweit wirkungsvoll stellen", teilte Fischer in einer Aussendung mit.

Rasche Ratifizierung
Während Deutschland, Frankreich und das nächste Ratsvorsitzland Slowenien das Vertragswerk so schnell wie möglich ratifizieren wollen, soll es in Österreich bis Ende Juni soweit sein, wie Bundeskanzler Gusenbauer sagte. Forderungen von BZÖ und FPÖ nach einer Volksabstimmung über den neuen Vertrag erteilte der Kanzler eine Absage, da damit der Spalt zwischen der EU und den Bürgern nicht überbrückt werden könne. Die von der APA befragten Verfassungsexperten Bernd-Christian Funk und Ex-Verfassungsgerichtshofpräsident Ludwig Adamovich sagten, ein Referendum sei nicht zwingend nötig.

Ab Anfang 2009 in Kraft
Der Vertrag setzt einen vorläufigen Schlusspunkt in der seit rund zehn Jahren geführten Debatte um die wegen der Erweiterung von 15 auf 27 Mitgliedstaaten notwendig gewordenen Reform der EU-Institutionen. Der Reformvertrag soll die EU effizienter machen, indem in vielen Fällen der Zwang zur Einstimmigkeit wegfällt. Kommission und Parlament werden verkleinert. Zudem erhält die EU einen auf zweieinhalb Jahre ernannten Ratspräsidenten und einen Chefdiplomaten mit größeren Zuständigkeiten, der gleichzeitig Vizepräsident der EU-Kommission sein soll. In Kraft treten soll der Vertrag laut Gusenbauer Anfang 2009.

Polen und Italien hatten bis zuletzt Änderungen am Vertragstext verlangt. Nach achtstündigen Verhandlungen wurde in Lissabon schließlich mit beiden Ländern ein Kompromiss gefunden. Der polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski sprach von einem großen Erfolg und sagte, sein Land habe "alles bekommen, was es wollte". So wurde die "Ioannina-Klausel" zur Blockade von Entscheidungen bei knappen Mehrheitsbeschlüssen als Erklärung zum Vertrag angenommen. Darüber hinaus erhält Polen einen ständigen Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof.

Italien setzte sich mit seiner Forderung nach einem zusätzlichen Sitz im Europaparlament durch und soll nun gleich viel Mandate wie Großbritannien (73) haben. Um trotzdem die Obergrenze von 750 Abgeordneten einzuhalten, soll der Parlamentspräsident sein Stimmrecht verlieren. Amtsinhaber Hans-Gert Pöttering sagte, dass der Präsident sein Stimmrecht schon jetzt nicht ausübe, wies jedoch die Deutung zurück, die EU-Chefs hätten die Kompetenzen des Parlamentsvorsitzenden beschnitten.

Nur FPÖ und BZÖ dagegen
In Österreich wurde der Reformvertrag von SPÖ, ÖVP und den Grünen begrüßt. ÖVP-Klubobmann Wolfgang Schüssel sagte, der Reformvertrag mache die EU "fit für die Zukunft" und zeigte sich unter anderem erfreut darüber, dass die Neutralität Österreichs anerkannt bleibe. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen sagte, der Vertrag sei zwar ein Rückschritt im Vergleich zur EU-Verfassung, aber ein Fortschritt im Vergleich zum geltenden Nizza-Vertrag. FPÖ und BZÖ sehen im Reformvertrag dagegen einen massiven Eingriff in österreichische Souveränitätsrechte. Das BZÖ kündigte an, am 8. November im Parlament einen Antrag auf Volksbefragung im Parlament einbringen zu wollen. "Die Österreicher wollen keine Brüsseler Verfassungsdiktatur, sondern selbst über ihre Zukunft entscheiden", betonte FPÖ-Vorsitzender Heinz-Christian Strache. BZÖ-Chef Peter Westenthaler warf Kanzler Gusenbauer vor, Österreich "verraten und verkauft" zu haben.

Für den Posten des neuen EU-Ratspräsidenten ist der frühere britische Premierminister Tony Blair im Gespräch. Blair sei ein "sehr bemerkenswerter Mann" und "der europäischste" unter den Engländern, sagte der französische Präsident Nicolas Sarkozy am Freitag zum Ende des EU-Gipfels in Lissabon. Zwar kenne er Blairs Absichten nicht, aber es sei "ziemlich intelligent", an ihn im Zusammenhang mit diesem Posten zu denken. Allerdings bescheinigte Sarkozy auch dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker, für das Amt geeignet zu sein.

Der britische Premierminister Gordon Brown sagte, sein Vorgänger sei "ein großartiger Kandidat für jede bedeutende internationale Aufgabe". Dabei würdigte er Blairs derzeitige Tätigkeit als Sondergesandter des Nahost-Quartetts. Allerdings sei es verfrüht, jetzt über die Besetzung des neuen EU-Postens zu spekulieren. Der in Brüssel angenommene EU-Reformvertrag sieht einen EU-Ratspräsidenten vor, der für zweieinhalb Jahre ernannt wird und künftig die Gipfeltreffen der EU-Staaten vorbereiten soll.

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