Details nun bekannt
So täuschte Karadzic die Welt
23.07.2008
Er nannte sich Dragan Dabic, praktizierte als Seelenforscher: Karadzic tarnte sich perfekt. Er hatte eine neue Liebe - und ging gern ins Kafeehaus.
Radovan Karadzic soll wieder jener Person ähneln, die man aus den 90er Jahren in Erinnerung hat. Wie der Anwalt des bosnisch-serbischen Ex-Präsidenten mitteilte, habe Karadzic wieder kurzes Haar und der Vollbart sei abrasiert. Karadzic wurde nach offiziellen Angaben am Montagabend in Belgrad festgenommen. In der serbischen Hauptstadt arbeitete er als "Seelendoktor" - mit langem weißem Haar und Vollbart.
"Doktor Dragan Dabic"
Die Patienten von "Doktor Dragan Dabic", der in Kreisen der serbischen alternativen Medizin auch unter seinem zweiten Vornamen David bekannt war, sind tief geschockt. Der Psychiater, der seit einigen Monaten landesweit vielbeachtete Vorträge über Meditation hielt und dabei Parallelen zu "Tihovanje", dem Gebet der serbisch-orthodoxen Athos-Mönche zog, entpuppte sich als einer der meist gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher - Radovan Karadzic.
Stimme fiel nicht auf
Karadzic hätte eigentlich vielen Patienten Dabics gut bekannt sein müssen. Schließlich gab es in den frühen 90er Jahren kaum einen Tag ohne ein TV-Statement des damaligen bosnisch-serbischen Präsidenten. Doch keinem seiner Patienten oder Mitarbeiter waren seine charakteristische Stimme oder die Mundart aufgefallen. Bei Doktor Dabic konnte man keine Spur eines bosnischen oder montenegrinischen Dialekts bemerken, beteuerte eine Mitarbeiterin der Zeitschrift "Zdrav zivot" (Gesundes Leben), die den vergangenen Monaten häufig mit dem Arzt in Kontakt war.
Riesige Geldsummen verzockt
Die Tarnung des Haager Angeklagten, der während des Bosnien-Krieges (1992-1995) in einem Belgrader Hotel immer wieder beträchtliche Geldsummen bei Glücksspielen verloren haben soll, war perfekt. Ebenso seine inzwischen aufgebaute neue Identität, die eigentlich dem Schicksal manch einer durch die Balkan-Kriege zum Flüchtling gewordenen Person ähnelte.
Dragan Dabic gab sich als ein aus der kroatischen Krajina stammender Serbe aus, der sein Medizinstudium in Zagreb absolviert habe. Nachdem er durch den Krieg zum Flüchtling geworden sei, habe er mit seiner Familie eine neue Unterkunft in den USA gefunden. Doch das Familienglück habe ihn verlassen, erfuhren die interessierten Gesprächspartner des Arztes. Seine Ehe zerbrach, Frau und vier Kinder blieben demnach in den USA. Dort soll er - beteuerte er immer wieder - auch sein Medizindiplom vergessen haben.
Statt Doktortitel "Seelenforscher" als Unterschrift
Weil der Arzt seine Ausbildung nicht nachweisen konnte, beschloss der Chefredakteur der Zeitschrift "Zdrav zivot", Goran Kojic, die interessanten Berichte seines Mitarbeiters nicht mit dem Doktortitel, sondern mit dem Zusatz "Seelenforscher" zu unterzeichnen. Bei von der Zeitschrift organisierten Veranstaltungen hielt der Arzt, dessen markante Figur eines hochgewachsenen, schlanken Mannes mit ungewöhnlich langem, zu einem Knoten gebundenem weißem Haar und Vollbart unvermeidlich Aufsehen erregen musste, in den vergangenen Monaten viele Vorträge.
Im engsten Stadtzentrum Belgrads war der meist schwarz gekleidete Mann, der seine Kurzsichtigkeit hinter einer Brille versteckte und mit Vorliebe einen hellen Hut trug, meist in der Nähe der größten orthodoxen Kirche des Heiligen Sava, aber auch in Terazije, der Hauptgeschäftsstraße, anzutreffen. In Neu-Belgrad, wo er zuletzt als Mieter in einem der dortigen Hochhäuser wohnte, gehörte Dabic zu den Stammgästen des Cafes "Verrücktes Haus" (Luda kuca), dessen Inhaber Misko Kovijanic, ein gebürtiger Montenegriner, an der Wand seit Jahren die Bilder der zwei meist gesuchten Kriegsverbrecher - Karadzic und dessen Ex-Militärchefs Ratko Mladic - hält. Bei einer Gelegenheit soll der Arzt auch zu der an der Wand hängenden Gusla, ein traditionelles, einsaitiges Streichinstrument, gegriffen haben. Er sei ein guter Gusla-Spieler gewesen, mitsingen wollte er allerdings nicht, erinnerte sich Kovijanic gegenüber der Tageszeitung "Blic" am Mittwoch.
Neue Liebe
Doktor Dabic hat auch ein ganz neues Familienleben aufgebaut. Die "Liebe seines Lebens", wie er einer Mitarbeiterin der Zeitschrift "Zdrav zivot" enthüllte, heißt Mila. Die junge, gut aussehende Frau begleitete den Arzt bei allen Vorträgen, die er landesweit hielt und zu denen neuerdings auch seine Fans aus ganz Serbien angereist waren. Denn der angeblich weltweit gereiste Seelenarzt, der den Eindruck eines liebenswürdigen, kompetenten, sehr gebildeten Mannes machte, wusste die Zuhörer für sich zu gewinnen.
Als Seelenarzt, der sich mit Bioenergetik befasste, bot Dabic seine Leistungen auch auf seinem eigenen Webportal an. Er behandelte alles, von Zuckerkrankheit bis hin zur sexuellen Impotenz. Als Hilfsmittel bot er seinen Patienten kleine Anhängsel - die Well-beings - an. Der Autor des Webportals, Zoran Pavlovic, der mit dem Arzt wiederholt zusammengekommen war, empfahl nach einer Niederlande-Reise seinem Gesprächspartner, unbedingt Scheveningen zu besuchen, sollte er einmal die Gelegenheit dazu haben. "Scheveningen ist ein phantastischer Ort mit vielen Restaurants und Spielcasinos. Das müssen Sie unbedingt sehen", soll Pavlovic dem Arzt erklärt haben. Das Gefängnis des UNO-Tribunals im niederländischen Scheveningen könnte demnächst tatsächlich zur neuer Wohnadresse von Karadzic werden.
Identität flog auf
Wann genau der große Hasardeur sein Spielglück verloren hat, ist noch unbekannt. Nach Angaben der Behörde flog die Identität Karadzic' vor einigen Wochen auf. Seine Festnahme erfolgte im Augenblick, als er den Wohnsitz ändern wollte. Es gibt auch Gerüchte, dass der Arzt gerade dabei war, eine Urlaubsreise an die kroatische Adria anzutreten. Keine Information sickerte bisher über den Namen "Dragan Dabic" durch. Es ist auch nicht bekannt, ob der Name von einer wirklich existierenden Person stammt.