NATO-Luftangriff
Untersuchung nach zivilen Toten
05.09.2009
Heftige Kritik an deutscher Bundeswehr nach Afghanistan-Luftangriff.
Nach dem verheerenden NATO-Luftangriff im Norden Afghanistans mit Dutzenden von Toten sieht sich die deutsche Bundeswehr harter Kritik ausgesetzt. Der schwedische Außenminister Carl Bildt sagte am Samstag namens der EU-Ratspräsidentschaft in Stockholm zu dem Bombenangriff: "Wir gewinnen diesen Krieg nicht, indem wir töten". Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero bezeichnete den Luftschlag im spanischen Rundfunk als "nicht hinnehmbar". Unter den Verletzten waren nach Angaben von US-General Stanley McChrystal auch Zivilpersonen. Der Oberkommandierende der US- und NATO-Truppen in Afghanistan sprach am Samstag auf einer Pressekonferenz in Kunduz von einem "ernsten Vorfall", der zeigen werde, ob die NATO zu Transparenz bereit sei.
Über 100 Tote
Nach Angaben von Dorfbewohnern werden über 100
Tote beklagt. Stammesälteste sprachen am Samstag sogar von bis zu 150
Zivilisten, die bei dem Luftangriff auf zwei von Taliban-Rebellen entführte
Tankwagen umgekommen seien. Am Samstag ist auf die deutschen Truppen
nordöstlich von Kunduz ein Selbstmordanschlag verübt worden. Dabei wurden
fünf Soldaten und ein einheimischer Dolmetscher verletzt, wie die Bundeswehr
mitteilte.
Ermittlungsverfahren
Die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft, ob ein
Ermittlungsverfahren gegen den für den Luftangriff verantwortlichen
deutschen Kommandanten eingeleitet werden muss. Der Leitende
Oberstaatsanwalt Heinrich Junker, sagte der Zeitung "Bild am Sonntag": "Wir
prüfen einen Anfangsverdacht wegen eines eventuellen Tötungsdelikts gegen
den deutschen Oberst, der diesen Luftangriff befohlen beziehungsweise
angefordert hat." Oberst Georg Klein hatte am Freitag beim Hauptquartier der
NATO-geführten internationalen Schutztruppe ISAF Luftunterstützung
angefordert, nachdem die Taliban zwei Tanklastzüge entführt hatten. Er
befahl auch den Angriff. Dabei kamen Dutzende Menschen ums Leben. Die
Bundeswehr spricht von mehr als 50 getöteten Aufständischen. Der afghanische
Präsident Hamid Karzai teilte mit, es seien "rund 90 Menschen getötet oder
verletzt" worden.
Aufklärung gefordert
Außenminister Frank-Walter Steinmeier
(SPD) forderte in der "Bild am Sonntag" restlose Aufklärung. "Gegen
verbrecherische Terroristen muss entschieden vorgegangen werden.
Gleichzeitig müssen wir aber alles tun, um unschuldige zivile Opfer zu
vermeiden." Der FDP-Verteidigungsexperte Jürgen Koppelin verlangte eine
ehrliche Debatte über den deutschen Afghanistan-Einsatz, bei dem es sich um
einen Krieg handle. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte die
Informationspolitik: "Während in Afghanistan die toten und verletzten
Zivilisten betrauert werden, versucht sich die Bundeswehrführung und das
Verteidigungsministerium weiter im Verschleiern."