Ein Verbot der Regierungspartei von Ministerpräsident Erdogan wurde abgelehnt. Allerdings wurde die staatliche Finanzierung gestrichen.
Das türkische Verfassungsgericht hat ein Verbot der islamisch orientierten Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan abgelehnt. Dies teilte Gerichtspräsident Hasim Kilic am Mittwoch in Ankara mit. Allerdings wurde der AKP ein Teil der staatlichen Parteiförderung gestrichen. Der seit sechs Jahren regierenden Partei wurde vorgeworfen, gegen das Verfassungsgebot eines säkularen Staates zu verstoßen und eine Islamisierung der Türkei anzustreben.
Sechs Richter für Verbot
Die elf Verfassungsrichter stimmten
zwar mit sechs zu fünf Stimmen für ein Parteiverbot, jedoch wurde das
erforderliche Quorum von sieben Ja-Stimmen nicht erreicht. Gerichtspräsident
Kilic sagte nach der Entscheidung: "Ich hoffe, dass dieses Ergebnis sehr
genau analysiert und bewertet wird. Die betroffene Partei sollte die
Botschaft ernst nehmen. Am Ende bedeutet dies eine Warnung."
Warnschuss
Arbeitsminister Faruk Celik von der AKP sprach in
einer ersten Reaktion von einem Sieg für die Demokratie in der Türkei.
Ähnlich äußerte sich auch Parlamentspräsident Koksal Toptan.
Ex-Außenminister Mümtaz Soysal, der früher der sozialdemokratischen
Demokratischen Linkspartei (DSP) angehört hatte, wertete die finanziellen
Sanktionen dagegen als Warnschuss an die AKP. Die Partei könne ihren Kurs
nun nicht unverändert fortsetzen und müsse im Falle eines neuen Verfahrens
mit einem Verbot rechnen.
Bei Verbot Neuwahlen
Wäre die konservativ-islamische Partei
verboten worden, hätten sich Regierungschef Erdogan, Staatspräsident
Abdullah Gül und rund 70 weitere AKP-Führungsmitglieder fünf Jahre lang
nicht politisch betätigen dürfen. Dann wären auch Neuwahlen nötig geworden.
Bei der Parlamentswahl vor einem Jahr hatte die AKP 47 Prozent der Stimmen
erhalten.
Die Finanzmärkte hatten bereits in der Erwartung, dass die AKP nicht verboten würde, höher geschlossen. Die türkische Lira legte gegenüber dem Vortag im frühen Handel um zwei Prozent, die Aktienmärkte legten um sechs Prozent zu. Die Börse war zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung schon geschlossen.
Kopftuchverbot
Die Staatsanwaltschaft hatte sich in ihrer Anklage
in erster Linie auf Äußerungen Erdogans berufen. Der Regierungschef hatte
gefordert, das islamische Kopftuch als religiöses und politisches Symbol in
den Hochschulen zuzulassen. Im Februar 2008 hatte das Parlament auf
Initiative der AKP per Verfassungsänderung eine Freigabe des Kopftuchs für
Studentinnen durchgesetzt. Die Änderung wurde vier Monate später vom
Verfassungsgericht zu Fall gebracht. Damit sind Frauen, die das islamisch
geknüpfte Kopftuch in Hochschulgebäuden nicht ablegen wollen, weiterhin von
einem Hochschulstudium ausgeschlossen.
Bereits 24 Parteien verboten
Seit der Gründung des türkischen
Verfassungsgerichts im Jahr 1963 hat die Justiz nicht weniger als 24
politische Parteien verboten. In den vergangenen Jahrzehnten sind vor allem
linke, kurdische und islamisch geprägte Parteien verboten worden. Hinter den
häufigen Verfahren steht die in der türkischen Justiz weit verbreitete
Annahme, dass der Staat vor politischen Bewegungen geschützt werden muss,
wenn diese die Einheit oder die säkularen Grundsätze der Republik bedrohen.
Der spektakulärste Fall der vergangenen Jahre war das Verbot der islamistischen Wohlfahrtspartei (RP) im Jänner 1998, der Vorgängerin der AKP - bis wenige Monate vor ihrem Verbot hatte die RP mit Necmettin Erbakan noch den Ministerpräsidenten gestellt. Auch Gül und Erdogan sind aus dieser Partei hervorgegangen.