Die Kaukasus-Krise findet auch am Donnerstag ihren Widerhall auf den Kommentarseiten der internationalen Tageszeitungen.
"Le Monde" (Paris):
"Georgien zahlt heute für den
Zerfall des sowjetischen Imperiums Anfang der 1990er Jahre. Zur
Rechtfertigung der Militäraktion gegen Tiflis hat (der russische
Regierungschef Wladimir) Putin den Westen, und besonders die Amerikaner,
beschuldigt, zum Kalten Krieg zurückgekehrt zu sein. Doch heute geht es
nicht um ein Gleichgewicht der Kräfte als Grundlage der Beziehungen zwischen
zwei Blöcken. Heute erleben wir die Rückkehr zu einer Kanonenbootpolitik, um
einem kleinen Land den Willen seines mächtigeren Nachbarn aufzuzwingen. Im
Kaukasus geht es um das Recht von Völkern auf Selbstbestimmung, auch wenn
sie das Pech haben, neben einem mächtigen Nachbarn zu leben."
"Süddeutsche Zeitung" (München):
"Was
war das für ein Krieg? (...) ein ganz altmodischer Machtkrieg um
territoriale und wirtschaftliche Interessen zwischen einer Großmacht und
einem kleinen Staat, hinter dem eine andere Großmacht steht. Wobei diese
offiziell nicht beteiligte zweite Großmacht - die Vereinigten Staaten - nun
eine beachtliche Niederlage verbuchen müssen. Das russische Spiel -
Nadelstiche, georgischer Nervenverlust und Gegenangriff, russische Invasion,
weitgehendes Einlenken des Westens - scheint aufgegangen zu sein. Das
Szenario erinnert frappant an Ereignisse des 19. Jahrhunderts: Auf ganz
ähnliche Weise, mit dem Spiel eines kleinen Staates (Piemont) zwischen zwei
großen (Frankreich und Österreich), kam es 1859 zu dem großen Krieg, der die
italienische Einigung ermöglichte. Die Sache war vorher zwischen Piemont und
Frankreich abgesprochen, nur ging Piemont viel weiter als zunächst
ausgemacht; ähnlich kann man Präsident (George W.) Bushs Besuch in Georgien
2005 als eine Ermunterung begreifen, die der georgische Präsident Michail
Saakaschwili nun gefährlich überzogen hat. Da sich hier ein solcher, jüngst
auch noch vorausgesagter Lehrbuchfall der Diplomatie ereignet hat, bleibt
die Frage, warum Amerika nicht imstande war, die Eskalation zu verhindern."
"Frankfurter Rundschau":
"Die Betriebstemperatur
im strapazierten Verhältnis zwischen den USA und Russland geht nach Moskaus
militärischem Eingreifen in Georgien rasant Richtung Tiefkühltruhe. Bis ins
Weiße Haus hinein gelten die Optionen des Westens, auf das russische
Vorgehen zu reagieren, als beschränkt. Doch sowohl die US-Öffentlichkeit wie
die politische Klasse betrachten Moskaus erst am Dienstag beendete Offensive
als Auftakt zu einem 'neuen geopolitischen Spiel'. Nach anfänglicher
Verblüffung wird der Ruf lauter, Russland daran zu hindern, wieder alte
Einflusszonen zu errichten. Die USA sehen sich dadurch - nicht zuletzt
aufgrund eigener Öl-Interessen am Kaspischen Meer - direkt herausgefordert."
"Handelsblatt" (Düsseldorf):
"Bundeskanzlerin
Angela Merkel will sich jetzt in den Kaukasus-Konflikt einschalten. Die
Regierungschefin reist am morgigen Freitag nach Sotschi, um die Lage mit dem
russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zu erörtern. (...) Russland will sich
aber nicht mehr auf Verhandlungen mit Saakaschwili einlassen. Zudem besteht
Moskau darauf, über den künftigen Status der abtrünnigen Regionen
Südossetien und Abchasien zu diskutieren. Ein entsprechender Passus im
EU-Friedensplan war allerdings auf Wunsch Saakaschwilis aus dem Text
gestrichen worden. Einigen EU-Staaten geht diese Änderung aber noch nicht
weit genug. Neben Litauen sprach sich auch Polen für zusätzliche Korrekturen
zugunsten Georgiens aus."
"die tageszeitung" (taz) (Berlin):
"Die
Erklärung, die die europäischen Außenminister bei ihrem Sondertreffen
beschlossen haben, ist kurz und inhaltsleer. Sie achtet peinlich genau
darauf, zu beiden Konfliktparteien gleich großen Abstand zu halten und weder
für Russland noch für Georgien Sympathien erkennen zu lassen. So
unbefriedigend diese windelweiche Erklärung seitens der EU ist - man darf
nicht vergessen, dass die Europäer in außenpolitischen Fragen chronisch
zerstritten sind. Und in diesem Fall sind die Friktionen sogar heftiger als
gewöhnlich: Ein Graben verläuft nicht nur zwischen Osteuropäern und
Westeuropäern, also zwischen den 'neuen' und 'alten' Europäern. Auch
Deutschland und Großbritannien sind sich keineswegs einig. Der britische
Außenminister David Miliband hatte gleich zu Beginn gefordert, die
Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen mit Moskau zu stoppen, die
nach einer achtmonatiger Eiszeit gerade erst wieder begonnen haben. Dagegen
setzen Paris und Berlin alles daran, mit der russischen Regierung im
Gespräch zu bleiben."
"Neues Deutschland" (Berlin):
"Ein Friedensplan
ist das noch nicht. Aber sollte die unter der Ägide der Europäischen Union
zwischen Russland und Georgien vereinbarte Feuerpause halten, wäre zumindest
erst einmal der betroffenen Zivilbevölkerung und den Zehntausenden
Flüchtlingen geholfen. Berichte aus der Konfliktregion ließen aber selbst
daran zweifeln. (...) Die jetzt geschlossene Vereinbarung lässt heikle
Grundsatzprobleme lieber aus oder im Vagen. Vor allem wird die Frage des
Status von Abchasien und Südossetien völlig ausgeklammert. Georgiens
Staatschef hat in den Verhandlungen alle Energie darauf verwandt, einen
entsprechenden Passus im EU-Friedensplan streichen zu lassen. Dabei war dort
nur eine internationale Diskussion angeregt worden. Tiflis mag das als
diplomatischen Erfolg nach einer militärischen Niederlage sehen. Soll die
Krise im Kaukasus dauerhaft beigelegt werden, kommt man um eine Lösung für
diese Frage aber nicht herum."
"Junge Welt" (Berlin):
"Zufrieden dürfen die
Amerikaner mit ihren 'neuen' Europäern sein, die sich in ihrem Russenhass
geradezu überschlugen, um Michail Saakaschwilis Propagandaschlacht gegen den
gemeingefährlichen Bären im Kreml weiter anzuheizen. Nach Rücksprache mit
Washington statteten die Staatschefs von Polen, der Ukraine und der drei
baltischen Staaten dem vermeintlichen georgischen Opfer russischer
Aggression ostentativ einen Solidaritätsbesuch ab. Zuvor hatten die fünf
Präsidenten in einer gemeinsamen Erklärung EU und NATO dringend
aufgefordert, 'sich gegen die Ausbreitung der imperialistischen und
revisionistischen Politik Russlands zu stemmen'. Zur gleichen Zeit erklärte
am anderen Ende des EU-Spektrums der italienische Außenminister Franco
Frattini, dass man 'in Europa keine antirussische Koalition schaffen' wird".
"La Repubblica" (Rom):
"Gäbe es den georgischen
Präsidenten Michail Saakaschwili nicht, Wladimir Putin hätte ihn erfinden
müssen. So wie es scheint, traute der russische Patron in den ersten Stunden
des Krieges seinen Ohren nicht. War ihm der als Erzfeind eingestufte
Saakaschwili doch schließlich mit beiden Beinen in die Falle gesprungen und
hatte Russland auf militärischem Feld herausgefordert. In wenigen Tagen hat
Putin nicht nur die Kontrolle im umkämpften Südossetien wieder übernommen,
sondern droht auch damit, das gesamte Georgien auf eine virtuelle Größe zu
reduzieren. Vor allem aber hat Putin den USA eine deutliche Lektion erteilt.
Erstmals seit dem Zusammenbruch der UdSSR ist das russische Imperium in der
Offensive. Der Krieg in Georgien hat für Moskau nicht nur hervorragende
regionale Auswirkungen, er trägt dazu bei, die globalen Gewichte neu zu
verteilen."
"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):
"Neben Applaus im
Regierungslager für (Frankreichs) Präsident Nicolas Sarkozys
Vermittlungsmission im Georgien-Konflikt ist in Frankreich auch etwas Kritik
an mangelnder Standfestigkeit gegenüber Russland zu verzeichnen. Der
Sechs-Punkte-Plan beruht vor allem auf russischen Forderungen und kann von
Putin nach Belieben zu Moskaus Gunsten ausgelegt werden. Auf der
Pressekonferenz mit Putins Sprachrohr (Präsident Dmitri) Medwedew in Moskau
hatte Sarkozy es als normal bezeichnet, dass Russland sich auch für die
Interessen der Russen außerhalb seiner Landesgrenzen einzusetzen suche.
Diese Feststellung schien einer Anerkennung der Doktrin von Russlands
Sonderinteressen im 'nahen Ausland' bedenklich nahe zu kommen. Im
Unterschied zu den drei baltischen Staaten sowie zu Polen und der Ukraine
war jedoch in Frankreich darüber keinerlei Konsternation zu verzeichnen."
"Tages-Anzeiger" (Zürich):
"Westliche Regierungen
fordern Maßnahmen und rufen nach transatlantischer Geschlossenheit, aber es
ist unklar, was diese transatlantische Geschlossenheit bedeuten soll. Soll
die NATO Truppen nach Tiflis schicken? Oder möchte irgendjemand ernsthaft
über ein Szenario nachdenken, indem die Vereinigten Staaten und Russland in
Kampfhandlungen gegeneinander verwickelt sind? Zu Wirtschaftssanktionen
gegen Russland wird es wahrscheinlich auch nicht kommen, da Moskau mit
seinen Energielieferungen Westeuropa in der Mange hat. Die Wahrheit ist,
Russland hat durchschaut, dass der Westen im Fall Georgiens nur bluffte, und
das Spiel gewonnen. (...) Die größte Täuschung war, dass der Westen Georgien
wirklich stützt. (...) Putin hat all diese Täuschungen durchschaut, er sah,
dass die USA, gebunden im Irak und in Afghanistan, allein und ambivalent
waren in dieser Krise, auch weil sie noch auf russische Unterstützung für
Sanktionen gegen den Iran hoffen."
"Aftenposten" (Oslo):
"Der Westen diskutiert im Rahmen
von EU und NATO, wie man sich gegenüber Russland nach dessen übertriebener
Machtanwendung gegen ein kleines Nachbarland verhalten soll. Dass eine
solche Diskussion stattfindet, ist natürlich, weil es kein Patentrezept für
die richtige Reaktion gibt. Erneut wird über Isolierung oder vielleicht
sogar Boykott im Gegensatz zu konstruktivem Engagement gestritten. Letzteres
ist wohl das Richtige, allerdings nur bei klaren Voraussetzungen. Russland
muss klargemacht werden, dass es international nicht nach eigenen Regeln
spielen und keinen besonderen Einfluss in Teilen der früheren Sowjetunion
beanspruchen kann. (...) Durch sein Vorgehen in Georgien hat Russland dem
eigenen Ruf und sich selbst geschadet. Die harte Machtanwendung widerspricht
Moskaus eigener Behauptung, dass man ein verlässlicher Partner in Sachen
Energie oder in den politischen Beziehungen sei."