Wahllokale wurden einen Tag vor der Präsidentenwahl in Afghanistan in Brand gesteckt. Drohungen der Taliban sorgen für Angst und Schrecken.
Die Präsidenten- und Provinzratswahlen in Afghanistan bringen nach Einschätzung eines deutschen Wahlbeobachters für die Menschen im Land ein "sehr großes Angstpotenzial" mit sich. "Alle, die irgendetwas mit der Wahl zu tun haben, haben Drohungen bekommen", sagte Andreas Deschler, der in den östlichen Provinzen Paktia und Ghazni für die EU-Wahlbeobachtermission im Einsatz ist, am Mittwoch in einem telefonisch geführten Interview. Das reiche von allgemeinen Drohungen bis zur direkten Bedrohung von Leib und Leben. So seien Anschläge auf Häuser von Kandidaten verübt und Menschen verschleppt worden, berichtete Deschler. Drohungen und Attacken beträfen jeden - von den Kandidaten über die Wahlhelfer bis zu jenen, die in der Wählererziehung aktiv seien.
Zum Urnengang gehört "eine Menge Mut"
Vor jedem,
der sich zur Wahl stellt oder beim Urnengang hilft, "muss man wirklich den
Hut ziehen, dazu gehört eine Menge Mut", sagte der 38-jährige Politologe
Deschler. Gerade in Paktia und Ghazni sei die Lage gefährlich, weil die
Taliban dort beträchtliche Kontrolle ausübten. Soeben habe er erfahren, dass
in einem entlegenen Winkel Ghaznis ein Wahllokal niedergebrannt worden sei.
Auch die Nachtbriefe - Flugblätter mit Todesdrohungen an Wahlwillige -
hätten zugenommen. Mittlerweile tauchten diese Blätter in manchen Bezirken
schon tagsüber auf: Wer durch Tinte am Finger als Wähler erkennbar sei,
werde umgebracht, heißt es darin.
Frauen besonders bedroht
Besonders bedroht seien die Frauen,
sagte Deschler, der im sogenannten Paschtunen-Gürtel - einem besonders
konservativ geprägten Landesteil - im Einsatz ist. Er habe sich mit vielen
Kandidatinnen für die ebenfalls stattfindenden Wahlen zu den Provinzräten
unterhalten, und diese hätten von massiven Bedrohungen bis hin zur
Morddrohung berichtet. Dennoch sei sowohl in Paktia als auch in Ghazni die
Ausgangslage, dass sich mehr Kandidatinnen zur Wahl stellten, als Sitze für
Frauen reserviert seien. In anderen Provinzen dagegen gebe es nicht einmal
so viele Bewerberinnen wie Mandate.
120 EU-Wahlbeobachter
Deschler hält sich als einer der beiden
deutschen Langzeit-Beobachter seit dem 21. Juli am Hindukusch auf und seit
dem 28. an seinem Standort Gardez, der Provinzhauptstadt von Paktia. Er
selbst sei derzeit "nicht nervös oder ängstlich". Für die Sicherheit der
rund 120 EU-Wahlbeobachter werde einiges getan: "Wir übernachten in
Containern, die mit Sandsäcken und allem Möglichen gesichert sind",
berichtete er. Von Gardez aus dürfe er derzeit nur nach Ghazni in die
gleichnamige Provinzhauptstadt reisen, und zwar per UN-Helikopter. Auch in
Gardez darf der Wahlbeobachter sich nur in einem gepanzerten Fahrzeug
fortbewegen. Dennoch könne natürlich ein Wahllokal von einem
Selbstmordattentäter angegriffen werden oder unter Beschuss geraten - "ein
gewisses Risiko bleibt".