Nach Tunesien-Krise

Westen muss Umgang mit Despoten überdenken

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Der Westen darf die Brutalität mancher arabischer Despoten nicht mehr ignorieren.

Der Volksaufstand in Tunesien wirft ein Schlaglicht auf die Nachsicht des Westens für arabische Despoten im Kampf gegen den Islamismus. Seit langem kritisieren Menschenrechtsaktivisten den Westen dafür, dass er nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA die Zusammenarbeit mit arabischen Sicherheitsdiensten hochfuhr.

Der Preis dafür war das Schweigen zu den korrupten und brutalen Methoden der Regime. In der arabischen Welt schürt diese Politik des Westens einen Groll, den sowohl Oppositionsgruppen als auch Al-Kaida für ihre eigenen Ziele nutzen. Die arabischen Herrscher ihrerseits lernten, dass sie kaum Konsequenzen zu befürchten haben, wenn sie die Belehrungen des Westen über die Menschenrechte ignorierten.

Ghiles: Unterdrückung oder Al-Kaida
Nach Einschätzung von Francis Ghiles vom Zentrum für Internationale Angelegenheiten in Barcelona ist ein Umdenken des Westens dringend nötig, auch wenn er nach den Vorgängen in Tunis keinen dramatischen Politikwechsel erwartet. "Wir müssen dieses idiotische Dogma aus dem Kopf bekommen, dass besagt: Unterdrückung oder Al-Kaida", sagt Ghiles. "Dieses Mantra im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus hat bedeutet, dass wir in den vergangenen zehn Jahren noch mehr als früher unsere Augen davor verschlossen haben, was diese Herrscher da treiben".

Erste Anzeichen für Umdenken
Ein erstes Anzeichen für ein Umdenken zumindest in den USA entdecken einige Experten in der jüngsten Rede von Außenministerin Hillary Clinton in Katar. Die Staaten im Nahen Osten müssten ihre korrupten Behörden aufräumen und ihr politisches System erneuern, forderte sie. Andernfalls riskierten sie, die Macht an militante Islamisten zu verlieren.

Robert Cressey, der die früheren US-Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush in Fragen der Terrorabwehr beraten hatte, rechnet indes nicht mit einer kompletten Neubewertung der Verbindungen zu den arabischen Oligarchien. Die Terrorgefahr sei noch immer zu akut, meint er. Der Westen müsse kurzfristige Ziele wie den Kamf gegen Al-Kaida abwägen gegen langfristige Ziele wie politische Reformen. "Die USA wollen beides, aber die Terrorsorgen stechen oft andere politische Prioritäten aus".

Tunesien als Versuchslabor
Sollte es nach dem Sturz von Diktator Zine el-Abidine Ben Ali nun einen geordneten Übergang zu einem demokratischen System in Tunesien geben, könnte das kleinste nordafrikanische Land zu einem Laboratorium für eine Erneuerung der arabischen Politik werden. Tunesien könne ein machtvolles Beispiel geben und den Westen ermuntern, sich stärker als bisher für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen.

Larbi Sadiki von der Universität Exeter hält einen raschen Politikwechsel des Westens für Wunschdenken. Die USA und Europa müssten jedoch zumindest die Risiken ihres bisherigen Verhaltens einsehen. "Die Sicherheitsdebatte im Westen klingt wie eine hängengebliebene Schallplatte, und darüber müssen wir hinwegkommen", sagt er. "Die Brutalität und Grausamkeit arabischer Herrscher ist eine gigantische moralische Belastung, die der Westen auf sich lädt."

Cole: Westen hat Tyrannei stillschweigend geduldet
Der Historiker Juan Cole von der Universität Michigan erinnert daran, dass die "stillschweigende Duldung oder sogar Unterstützung von Tyrannei, Folter und dergleichen böse nach hinten losgehen kann - wie es sich am Beispiel der (Islamischen) Revolution im Iran 1978/79 zeigte".

Die Sprunghaftigkeit der westlichen Politik zeigte sich besonders deutlich am Beispiel Frankreichs, das Ben Ali auf seiner Flucht am Freitag in letzter Minute die Einreise verweigerte - ein bemerkenswerter Schwenk der französischen Regierung, die zu den Stützen des Autokraten Ben Ali zählte. Die Stimmung war noch ganz anders, als Präsident Nicolas Sarkozy im April 2008 Tunesien besuchte und Bedenken über den Umgang mit den Menschenrechten dort zurückwies. Stattdessen stilisierte Sarkozy Ben Ali und dessen Regime hoch zu einem Bollwerk gegen die Entstehung eines Taliban-Regimes in Nordafrika. "Niemand soll glauben, dass morgen oder übermorgen, wenn in einem der nordafrikanischen Länder ein Regime wie die Taliban an die Macht kommt, dass Europa und Frankreich sich dann sicher fühlen könnten", verkündete Sarkozy damals. Die einstige Protektoratsmacht Frankreich sei sicher am nachsichtigsten mit Tunesiens Diktator umgegangen, sagt Michael Willis von der Universität Oxford.

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