Israilov-Prozess

Zweitangeklagter Suleyman D. vernommen

22.11.2010

"Ich hatte das Gefühl, dass mit ihm was passieren kann", so Suleyman D.

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© APA/ Pfarrhofer
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Am fünften Verhandlungstag im Prozess um den tschetschenischen Flüchtling Umar Israilov ist der Zweitangeklagte Suleyman D. vernommen worden. Dabei machte der 36-Jährige am Montag im Straflandesgericht deutlich, dass er politisch anders "tickt" als der Hauptangeklagte Otto K., der laut Anklage im Auftrag des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow die Entführung und Verbringung Israilovs nach Tschetschenien geplant haben soll. In den Mord an Israilov sei er nicht verwickelt gewesen, versicherte Suleyman D. Er habe allerdings geahnt, dass dieser in Gefahr war.

"Fühlen und Wissen sind zwei Paar Schuhe"
"Ich hatte das Gefühl, dass mit ihm was passieren kann. Aber Fühlen und Wissen sind zwei Paar Schuhe. Wenn ich gewusst hätte, was passiert, wär' ich nicht mitgekommen", gab der Mann zu Protokoll. Worauf sich seine Mutmaßungen gründeten, konnte oder wollte er nicht preisgeben. Er versicherte, er habe mit dem inkriminierten Verbrechen nichts zu tun tun. Er sei von Landsleuten gebeten worden, Israilov nach dem Verbleib von 300.000 US-Dollar aus der Kasse von tschetschenischen Widerstandskämpfern zu befragen, und er habe diesen auch mehrfach getroffen. Doch ihm sei rasch klar geworden, dass Israilov das Geld nicht - wie ihm von manchen Leuten unterstellt wurde - gestohlen habe.
 

Schuss als Reifenplatzer geglaubt
Am 13. Jänner 2009 habe er Letscha B. nach Wien begleitet, ohne zu wissen, was dieser geplant hatte: "Ich hatte Freizeit und sonst nichts zu tun." In der Bundeshauptstadt angekommen, habe ihm dieser beschieden, dass er nun Israilov aufsuchen werde: "Ich habe geglaubt, es geht um das Geld." Er habe praktisch die gesamte Zeit im Auto geschlafen, nicht mitbekommen, dass Letscha B. ausstieg, und plötzlich Schüsse vernommen: "Zuerst hab' ich geglaubt, dass irgendwo ein Reifen geplatzt ist."

Wenig später, als er wieder mit Letscha beisammen war, sei ihm dessen blutverschmiertes Gesicht aufgefallen, erzählte Suleyman D.: "Ich wollte mit ihm eigentlich nicht reden". Doch der andere habe erzählt, Israilov hätte ihn angriffen, worauf er geschossen und diesen "verletzt" habe.

Letscha B., der für die Staatsanwaltschaft als Todesschütze gilt, konnte sich im Unterschied zu den drei angeblich in die Bluttat verwickelten Angeklagten ins Ausland absetzen. Inzwischen soll er in Tschetschenien als Leiter einer Polizeieinheit tätig sein.

Suleyman: Kadyrow war "Nationalverräter"
Die Befragung des Zweitangeklagten machte deutlich, dass unter den Angeklagten große politische Differenzen bestehen. Während sich Otto K. vor dem Schwurgericht als guter persönlicher Bekannter Kadyrows bezeichnet hatte, mit dem ihn eine "enge, freundschaftliche Beziehung" verbinde, bezeichnete Suleyman D. Kadyrow als "Nationalverräter". Und weiter: "Ich habe eine persönliche Abneigung gegen ihn."  Als Politiker werde Kadyrow "höchstens in Europa" gesehen: "Wir bezeichnen ihn als etwas Anderes."

Suleyman: Doku Umarow ist "wahrer Präsident"
Suleyman D. warf Kadyrow vor, den Kampf um ein unabhängiges Tschetschenien verraten und sich Russland untergeordnet zu haben. Während Otto K. in seiner Einvernahme ein Loblied auf Kadyrow gesungen und gemeint hatte, unter diesem hätten sich die Verhältnisse in seiner Heimat entscheidend verbessert, betonte Suleyman D., der "wahre Präsident" sei Doku Umarow. Der radikale Islamisten-Führer, der sich 2007 zum "Emir vom Kaukasus" ausgerufen hatte, will in einem "Heiligen Krieg" die russischen Teilrepubliken im Nordkaukasus von Russland abspalten und in einem islamistischen Staat vereinen.

Suleyman D. soll als eine Zeitlang als Leibwächter Umarows gearbeitet haben. Laut Staatsanwalt wurde er von einem ehemaligen KGB-Agenten ausgebildet und absolvierte auch eine Schulung in einem Taliban-Camp in Pakistan. Darauf angesprochen, meinte der Zweitangeklagte, er habe in einem "militärischen Kolleg" gelernt, und in Pakistan habe er sich "als Student, nicht als Kämpfer" aufgehalten. Die Frage, wie er sich mit Otto K. bei den offenkundigen politischen Differenzen verstanden habe, beantwortete Suleyman D. mit "Ich hab bis zur vorigen Woche nicht gewusst, dass er für Kadyrow ist".

Es war nie geplant, Israilov zu verschleppen
Es sei mit Sicherheit nie geplant gewesen, Umar Israilov zu verschleppen, behauptete Suleyman D.: "Wie kann man einen kräftigen, gesunden Mann am helllichten Tag mitten in Wien entführen?" Das sei denkunmöglich. Er habe eine Erklärung dafür, weshalb der tschetschenische Flüchtling erschossen wurde, doch war der Zweitangeklagte nicht bereit, sich dazu öffentlich zu äußern: "Hier geht das nicht. Das geht höchstens bei einem Gespräch im Kaffeehaus."

Der Prozess wird am Dienstag mit Zeugenbefragungen fortgesetzt. Ab 14.30 Uhr soll Dick Marty zur menschenrechtlichen Lage in Tschetschenien und der Regentschaft Kadyrows angehört werden. Der Abgeordnete des Europarats und Mitglied der OSZE-Kommission für Menschenrechte gilt als Tschetschenien-Experte.

 

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