Siemens-Schmiergeld
100 Mio. Euro durch Österreich geflossen
20.11.2006
Mehr als 100 Mio. Euro sollen in den 90er Jahren über Konten in Innsbruck und Salzburg geflossen sein. In Wien, Oberösterreich und Tirol gab es Hausdurchsuchungen.
Die Affäre um schwarze Kassen beim Siemens-Konzern nimmt immer größere Ausmaße an. Die Staatsanwaltschaft München gab am Mittwoch die Festnahme von zwei weiteren Mitarbeitern bekannt. Insgesamt befinden sich nun sechs Siemens-Beschäftigte in Haft. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich die Beschuldigten zu einer Bande zusammenschlossen, um Firmengelder über schwarze Konten im Ausland abzuziehen.
Der derzeit ermittelte Schaden beläuft sich auf rund 200 Mio. Euro. Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft von 20 Mio. Euro gesprochen, in Medienberichten war von 100 Mio. Euro die Rede.
Mitarbeiter in Haft
Ein ehemaliger Siemens-Mitarbeiter, der in
Oberösterreich verhaftet worden war, wurde heute nach Deutschland
ausgeliefert. Der deutsche Staatsbürger war bereits vergangene Woche
festgenommen worden und hatte sich seit einer Woche in Wels in Übergabehaft
befunden.
Zwei Festgenommene arbeiteten in der internen Revision und im Bereich Rechnungswesen der von der Affäre betroffenen Siemens-Sparte Com, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Sie seien noch am Mittwoch dem Haftrichter vorgeführt und in Untersuchungshaft genommen worden. In der vergangenen Woche waren bereits fünf Siemens Mitarbeiter festgenommen worden, von denen einer unter Auflagen wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Es sei weiter unklar, wo sich die 200 Mio. Euro befinden, die von den Verdächtigen veruntreut wurden.
Geld für lukrative Aufträge
Medienberichten zufolge
setzten die Siemens-Mitarbeiter das veruntreute Geld ein, um an lukrative
Aufträge im Ausland zu gelangen. So soll unter anderem für ein
Sicherheitssystem für die Olympischen Spiele 2004 in Athen gezahlt worden
sein. Einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" vom Mittwoch zufolge trennte
sich Siemens vom Chef seiner Telefonsparte in Griechenland, nachdem der
Konzern im vergangenen Jahr von Ermittlungen in der Schweiz erfahren hatte.
Ein Siemens-Sprecher bestätigte lediglich, dass der Mitarbeiter den Konzern
im April 2006 verlassen habe, aber wollte sich nicht zu den Umständen äußern.
Ermittlungen in Italien
Laut einem Bericht des "Wall Street
Journal Europe" sind auch Ermittlungen in Italien im Gange. Die Ermittlungen
hatten in der Schweiz ihren Anfang genommen. In der vergangenen Woche wurden
dann zahlreiche Siemens-Büros in Deutschland durchsucht. Die
Staatsanwaltschaft München teilte am Mittwoch mit, dass im Laufe der
Nachforschungen zwischen 200 und 300 Aktenordner mit laufenden
Geschäftsunterlagen und etwa 36.000 Ordner Archivunterlagen beschlagnahmt
worden seien. Diese würden durch das bayerische Landeskriminalamt
ausgewertet.
Millionen durch Österreich
Die Affäre zieht auch in
Österreich weite Kreise. Wie die "Süddeutsche Zeitung"
berichtet, sollen in den neunziger Jahren über 100 Mio. Euro durch
Österreich geflossen sein. Die Transaktionen sollen über Konten in Innsbruck
und Salzburg abgewickelt worden sein. Wie der Leiter der
Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck, Rudolf Koll, erklärte, hat es nicht nur in
Wien und Oberösterreich, sondern auch in Tirol Hausdurchsuchungen gegeben.
Zum Teil sollen die Gelder auch über Umwege über die USA und Virgin Islands genommen haben. Die beiden Konten in Österreich haben italienische Fahnder nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" schon vor einigen Jahren entdeckt. Anlass dafür soll ein Verfahren der Staatsanwaltschaft in Bozen wegen Geldwäsche gewesen sein.
Siemens Österreich nicht betroffen
Die Ermittlungen
richteten sich nicht gegen Siemens Österreich, bestätigte der Sprecher der
Münchner Staatsanwaltschaft, Anton Winkle. Insider berichteten, die
Konten in Innsbruck und Salzburg seien vor allem in den neunziger Jahren mit
insgesamt mehr als 100 Millionen Euro gefüllt worden. Zugriff auf die Konten
soll ein leitender Siemens-Angestellter gehabt haben, gegen den die
Staatsanwaltschaft ermittelt und der wie drei weitere Beschuldigten seit
voriger Woche in Untersuchungshaft sitzt.
Siemens-Chef Kleinfeld nur Zeuge
Auch das Unternehmen selbst
betonte, dass Siemens-Chef Klaus Kleinfeld von der Staatsanwaltschaft nur
als Zeuge gesehen werde. Er sei bisher auch nicht vernommen worden. Im
Umfeld des Konzerns wurde zudem betont, die Ermittlungen konzentrierten sich
auf einen Zeitraum um das Jahr 2002 herum, in dem Kleinfeld noch
Siemens-Chef in den USA gewesen sei.
Delikte verjährt?
Der Münchner Oberstaatsanwalt Christian
Schmidt-Sommerfeld sagte laut "SZ", anhand der bei der Razzia
vergangene Woche sichergestellten Unterlagen und der bisher gewonnenen
Erkenntnisse werde derzeit "reihum geprüft", ob
Gesetzesverstöße begangen worden seien. Fraglich sei aber, ob mögliche
Delikte verjährt seien. Untreue und Bestechung können nach deutschem Recht
nur binnen fünf Jahren verfolgt werden. Eine Verfolgung wäre daher nur
möglich, falls die Transaktionen und ihre Folgegeschäfte bis in dieses
Jahrzehnt angedauert hätten. Siemens äußerte sich dazu nicht.