Gewerkschaften starten große Kraftprobe mit Präsident Nicolas Sarkozy.
Ausgerechnet zum EU-Gipfel über die Wirtschaftskrise muss sich Präsident Nicolas Sarkozy mit den Problemen Frankreichs auseinandersetzen. Die Regierung erwartet einen "Schwarzen Donnerstag" wie am 29. Jänner, als nach Gewerkschaftsangaben bis zu 2,5 Millionen Menschen gegen Sarkozys Krisenpolitik demonstrierten und Streiks das Land teilweise lähmten. Der linke Ex-Premierminister Laurent Fabius sieht bereits "breite und radikale Bewegungen der Revolte" aufkommen. Steht Frankreich vor einer sozialen Explosion?
Bevölkerung unterstützt Streik
Drei von vier Franzosen
stehen hinter dem Streiktag und immerhin 62 Prozent halten Sarkozys
Krisenmanagement für schlecht. Was die Regierung wirklich beunruhigt, sind
aber nicht die Protestaktionen, mit denen die Gewerkschaften den Unmut auch
kanalisieren. Minister äußern anonym die Befürchtung, die sozialen Konflikte
könnten in eine politische Krise umschlagen. Vorsorglich räumt Sarkozy
zusätzlichen Zündstoff beiseite und tritt bei umstrittenen Reformen den
Rückzug an. Gefängnis für 12-Jährige? Gekippt. Schulreform? Verschoben.
Gebietsreform? Vertagt. Uni-Reform? Wird überarbeitet.
Kein Vertrauen mehr
Doch die Milliardenhilfen für die Banken und
die gleichzeitig sichtbare Unfähigkeit der Regierung, den Verlust
Hunderttausender Arbeitsplätze zu verhindern, lassen das Vertrauen der
Bürger in ihre Politiker dahinschmelzen. Der Führer der Neuen
Antikapitalistischen Partei (NPA), Olivier Besancenot, ist nach einer
Umfrage des Instituts BVA für die Franzosen mittlerweile genauso glaubwürdig
wie Sarkozy. In der jüngsten Beliebtheitsumfrage von Ifop für "Paris Match"
liegt der Trotzkist mit 59 Prozent Zustimmung sogar um 12 Prozentpunkte vor
dem Staatschef.
Trotzkist als Hoffnung
Besancenot ist das Gegenteil eines
kompromissbereiten Sozialpartners. Der Che-Guevara-Verehrer propagiert den
unbefristeten Generalstreik gegen die "Klassenpolitik der Regierung". Als
Vorbild nennt er den sechswöchigen Streik und die Blockaden auf der
Karibikinsel Guadeloupe gegen die Ausbeutung.
Sarkozy auf Tauchstation
Wie in der Guadeloupe-Krise geht der
sonst nicht medienscheue Sarkozy zum "Schwarzen Donnerstag" auf Tauchstation
und schickt Staatssekretäre und Minister "an die Front". Nach dem Protesttag
Ende Jänner war das noch anders gewesen: Da hatte Sarkozy die Bosse der
gemäßigten Gewerkschaften zu sich geladen und am 18. Februar einen "sozialen
Nachschlag" zum Konjunkturpaket von immerhin 2,6 Milliarden Euro verkündet.
Genutzt hatte das nichts. Jetzt will Sarkozy keine weiteren Zugeständnisse
machen. Die Erklärung, dass nichts mehr zu verteilen sei, überlässt er
seinem Premierminister François Fillon.
Die als unzureichend empfundenen Sozialmaßnahmen verstärkten noch das Gefühl der sozialen Ungerechtigkeit. Viele Franzosen nehmen Sarkozy übel, dass er nicht eingreift, wenn der Ölkonzern Total nach einem Rekordgewinn von 14 Milliarden Euro in Frankreich 555 Stellen streichen will. Die Schließung des Continental-Reifenwerks in Clairoix wird als "Verrat" gebrandmarkt, weil die Mitarbeiter zuvor Zugeständnisse gemacht hatten. "Die Leute verstehen vollkommen, dass es eine internationale Krise gibt", sagt Fabius. Sie würden aber nicht akzeptieren, dass "einige Leute überbezahlt" und andere "in Millionenzahl in die Gosse gekippt" würden.