Der Emissionshandel ist der Industrie zu teuer. Sie würde schrumpfen, zusperren oder aus Europa wegziehen.
Die österreichische Industrie probt den Großaufstand in Sachen Emissionshandel. Die EU-Pläne zur schrittweisen Versteigerung von CO2-Zertifikaten ab 2013 sind für den Präsidenten der Industriellenvereinigung, Veit Sorger, ein "Desaster" für die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und für die Beschäftigung. Die Auktionierung der Verschmutzungsrechte hilft laut Sorger dem Klimaschutz nicht, sondern hat den Effekt einer Produktionsbesteuerung und bedeutet eine "Jobvernichtung".
Kostet über 1 Mrd. Euro
Laut IV-Generalsekretär Markus
Beyrer drohen der österreichischen Wirtschaft durch den Emissionshandel von
2013 bis 2020 im Durchschnitt Kosten von jährlich über 1,1 Mrd. Euro. In der
energieintensiven Industrie sind Beyrer zufolge 170.000 Arbeitsplätze
gefährdet. Mit dem EU-Paket würden ganze Industriezweige mittelfristig aus
Europa vertrieben, und es werde "keine einzige Tonne" CO2 eingespart. Die
Auktionierung helfe nur den Finanzministern.
Gratis-Zertifikate vor Abwanderung
Aus Sicht der IV muss nun in
der Richtlinie verankert werden, welche Branchen durch "Carbon Leakage"
(Anm.: Emissionserhöhungen in einem Land durch Verlagerung der Produktion
aus einem anderen Land) gefährdet sind und wieviele Gratiszertifikate sie
erhalten. Außerdem sollten diese Branchen 100 Prozent der Gratis-Zertifikate
zugeteilt bekommen. Innerhalb der Branche sollen die effizientesten Betriebe
100 Prozent ihres Bedarfs an Verschmutzungsrechten erhalten. Jene Anlage mit
dem geringsten CO2-Ausstoß pro Produktionseinheit solle als Benchmark für
den ganzen Sektor gelten.
Konzertierte Aktion geplant
Gemeinsam mit der neuen Regierung,
dem Parlament und mit Deutschland, dessen Industrie vom Emissionshandel
ebenso stark betroffen ist, will die Industrie nun gegen die EU-Pläne
kämpfen. Zu diesem Zweck haben Sorger und Wirtschaftskammerpräsident
Christoph Leitl bereits einen Brief an die deutsche Bundeskanzlerin Angela
Merkel geschrieben. Alle betroffenen Staaten müssten nun stark genug
auftreten, um dem EU-Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy "klar zu machen, dass
es hier kein Weichen gibt".
Wirtschaftskammer dabei
Auch Leitl schloss sich den Forderungen
an und betonte einmal mehr, dass viele heimischen Branchen mit ihrem
niedrigen CO2-Ausstoß Weltspitze seien.
"Dann Gnade uns Gott"
Auch voestalpine-Chef, Wolfgang
Eder, sieht eine Bedrohung des Standorts Europa. Wenn die Versteigerung wie
geplant kommt, "dann Gnade uns Gott", wetterte er. Längerfristig werde es
dann in Österreich keine Stahlproduktion mehr geben. Im Fall der voest würde
das für den Standort Österreich bedeuten, dass jährlich mehr als 500 Mio.
Euro an Steuern, Abgaben und Gebühren abwandern. Im Extremfall würde
Österreich eine inländische Wertschöpfung von 3 Mrd. Euro bzw. 20.000
Arbeitsplätze verloren gehen.
RHI investiert außerhalb der EU
Der RHI-Vorstandsvorsitzende
Andreas Meier wies darauf hin, dass zwei Drittel der CO2-Emissionen im
Feuerfest-Bereich rohstoffbedingt sind. Das Limit einer weiteren technischen
Reduktionsmöglichkeit bei der Produktion sei erreicht. RHI habe in den
vergangenen Jahren wegen von Planungsunsicherheit in Europa rund 60 Mio.
Euro in Roststoffwerke außerhalb der EU investiert, so Meier, der auch dafür
plädierte, dass Feuerfest unter die "Carbon-Leakage"-Regelung fällt.
Papierindustrie auch betroffen
Hohe Zusatzkosten durch die
CO2-Versteigerung würden auch der Papierindustrie drohen, so
Mondi-Vorstandschef Peter Oswald. Die direkten Auswirkungen auf die
österreichische Papierindustrie würden jährlich 65 Mio. Euro betragen,
europaweit würde die Kostenbelastung ab 2013 voraussichtlich bei 2,14 bis
7,81 Mrd. Euro im Jahr liegen.
Zementindustrie wird ersetzt
Für die österreichische
Zementindustrie bedeute die Komplettversteigerung von CO2-Zertifikaten, dass
die gesamte Klinkerproduktion durch billigere Importe aus Ländern, die sich
nicht dem betrieblichen Emissionshandel unterwerfen, ersetzt werden, drohte
Rudolf Zrost, Geschäftsführer der Leube GmbH.
Klimaschützer ärgern sich
Umweltschützern stößt das
freilich sauer auf: Wie Global 2000 kritisierte auch Greenpeace das
Absiedlungs-Argument der Industrie: "Dass man einfach hinter die nächste
Grenze zu ziehen droht, um das Klima dort weiter zu belasten, zeugt nicht
gerade von viel Weitsicht oder gar Bemühen, zu einer gangbaren Lösung zu
gelangen", monierte Sprecher Niklas Schinerl. Um Wettbewerbsverzerrungen und
Abwanderungen zu vermeiden, müsse eine Kombination aus Technologietransfers
und Klimazoll ("Border Tax Adjustments", BTA) her.