Die EU-Kommission nimmt Pharmakonzerne ins Visier ihrer Ermittlungen: Mit illegalen Methoden behaupten sie offenbar ihre Monopol-Stellung.
Pharmakonzerne verhindern in Europa mit rechtlichen Tricks, dass Konkurrenzprodukte auf den Markt kommen und verursachen damit hohe Mehrkosten für die Gesundheitssysteme und verhindern Innovationen. Das geht aus einer Branchenuntersuchung hervor, die die EU-Kommission zu Jahresbeginn gestartet hat. "Der Wettbewerb funktioniert nicht so wie er soll", kritisierte EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes am Freitag bei der Präsentation des Zwischenberichts. Die Kommission droht den Arzneimittelherstellern nun mit Kartellverfahren.
1.300 Patente für ein Medikament
Die Untersuchung im
Pharmasektor habe unter anderem gezeigt, dass die Hersteller von neuen
Arzneimitteln durch die Anmeldung von mehreren Patenten versuchen, den
Markteintritt von Konkurrenten zu verzögern. Im schlimmsten Fall seien für
ein einziges Medikament 1.300 Patente angemeldet worden, sagte Kroes. Oft
würden Verfahren gegen die Hersteller von Generika (Nachahmerpräparate nach
Ablauf des Patentschutzes) angestrengt, die sich im Schnitt über drei Jahre
hinziehen und ebenfalls nur dazu dienten, den Markteintritt verzögern.
Üblich seien auch Streitbeilegungsverfahren - in einigen Fällen mit
Zahlungen an die Generikahersteller -, die ebenfalls Beschränkungen der
Markteinführung billigerer Präparate brächten.
Der mangelnde Wettbewerb kosten die Gesundheitssysteme Milliarden: Allein in 17 untersuchten Staaten hätten zwischen den Jahren 2000 und 2007 drei Mrd. Euro gespart werden können, wenn Generikaprodukte schneller verfügbar gewesen wären, sagte Kroes. Im Schnitt fallen die Preise eines Medikaments im ersten Jahr nach der Generika-Einführung um 20 Prozent und im zweiten Jahr bereits um ein Viertel. Pro Jahr werden in der EU rund 214 Mrd. Euro für Medikamente ausgegeben.
Kartellverfahren droht
Kroes kündigte an, die EU-Kommission werde
nicht zögern, Kartellverfahren zu starten, sollte es den Verdacht auf
wettbewerbswidriges Verhalten geben. Sollte die EU-Kommission den
Pharmakonzernen den Missbrauch marktbeherrschender Stellung oder andere
regelwidrige Praktiken nachweisen können, drohen ihnen Millionen-Strafen.
Dem Vernehmen nach sollen die neuerlichen Razzien bei
Arzneimittelherstellern in den vergangenen Tagen bereits in diese Richtung
deuten, auch wenn die EU-Kommission betont, dass dies nichts mit der
Sektoruntersuchung tun hat.
Ob die Kommission auch neue Gesetze vorsehen wird, ist nach Angaben der Kommissarin noch offen. Bis Ende Jänner können interessierte Parteien sich zur Situation in der Branche äußern. Im Frühling soll dann der Endbericht vorgelegt werden.