Der Verlust der Großbank Societe Generale hätte noch größer ausfallen können. Der Makler setzte 50 Mrd. Euro aufs Spiel.
Der beispiellose Betrugsverlust von fast fünf Mrd. Euro für die französische Großbank Societe Generale hätte noch weit größer ausfallen können: Der verantwortliche Makler setzte bei seinen Spekulationen mehr als 50 Mrd. Euro aufs Spiel, wie ein Berater von Staatspräsident Nicolas Sarkozy am Freitag sagte. Der Betrag überstieg den Börsenwert der Traditionsbank um rund 15 Mrd. Euro.
Ein SG-Mitarbeiter bestätigte am Freitag, das Volumen der Positionen habe sich auf "mehrere zehn Mrd. Euro" summiert. Sarkozy-Berater Raymond Soubie nannte im Sender LCI eine Zahl von mehr als 50 Milliarden, was fast dem gesamten Bruttoinlandsprodukt der Slowakei entspricht.
Zweifel am Einzeltäter
In der Affäre um den
Milliardenbetrug bei der französischen Großbank Societe Generale verdichten
sich die Zweifel daran, dass eine einzige Person das zweitgrößte
Geldinstitut Frankreichs in eine Krise gestürzt habe. "Dieser
Händler scheint mir nur ein Sündenbock zu sein", sagte Alain
Crouzat, Präsident der Wertpapiergesellschaft Montsegur Finance in der
Freitagausgabe des "Le Parisien".
Kritik
Kritik am Management und am Kontrollverfahren äußerte
auch die französische Tagezeitung "Liberation", die in ihrem
Kommentar schrieb: "Ein Schuldiger wurde gefunden, doch wer sind die
Verantwortlichen?" Nach der Version der Societe Generale soll der
31-jährige Aktienhändler Jerôme Kerviel mit betrügerischen Scheingeschäften
und Milliardenspekulationen der Bank einen Verlust von 4,9 Mrd. Euro
zugefügt haben.
Anomalien hätten auffallen müssen
Viele Fachleute sind
der Meinung, dass eine solche Summe nicht einer Einzelperson angelastet
werden kann und stellen das Sicherheit-und Kontrollsystem in Fragen. "Diese
Anomalie hätte doch auffallen müssen. Man muss sich fragen was die Hunderte
von Kontrolleuren der Societe Generale eigentlich machen?", sagte der
Präsident der Wertpapiergesellschaft Montsegur Finance weiter. Für Philippe
Citerne, Vizechef der Societe Generale, handelt es sich um einen "nicht
zu erklärenden Akt der Böswilligkeit".
Rücktritt abgelehnt
Der Handel mit Aktien der Bank wurde
am Donnerstag vorübergehend ausgesetzt, und Vorstandschef Daniel Bouton bot
seinen Rücktritt an, was der Verwaltungsrat aber umgehend ablehnt.
Bankexperten reagierten mit Kopfschütteln auf die Enthüllungen.
Durch den Betrug und die Abschreibungen sinkt der Jahresgewinn der Bank auf nur noch auf 600 bis 800 Mio. Euro vor Steuer, wie die Societe Generale mitteilte. Im Vorjahr waren es noch 5,22 Mrd. Euro. In den kommenden Wochen braucht die Bank 5,5 Mrd. Euro an frischem Kapital.
Sicherheitssysteme gekannt
Bei dem Börsenhändler handelt es
sich nach Angaben der Bank um einen Franzosen im Alter zwischen 30 und 40
Jahren. Er habe vermutlich alleine gehandelt und die Sicherheitssysteme sehr
gut gekannt, die er mit Scheintransaktionen ausgetrickst habe, erklärte die
Bank. Der Mann wurde entlassen, und auch seine Vorgesetzten sollen ihren Hut
nehmen. Die Verschleierung der Geschäfte sei "extrem ausgefeilt
und durchdacht" gewesen, sagte Vorstandschef Bouton.
Der geständige Broker mit einem Jahreseinkommen unter 100.000 Euro hat offenbar nicht direkt von seinen Betrügereien profitiert. Vizechef Philippe Citerne sprach von einem "nicht zu erklärenden Akt der Böswilligkeit". Der Mann arbeitete seit 2000 für die Bank und handelte mit Future-Geschäften, mit denen im Grunde genommen auf künftige Marktentwicklungen gewettet wird. Den Stein ins Rollen brachte offenbar das jüngste Börsenbeben, das den Mann zwang, unbezahlte Positionen zu decken. Am vergangenen Wochenende kam ihm dann die Bank auf die Schliche.
"Möglicherweise den Verstand verloren"
Der
Börsenhändler Jerome Kerviel, der die französische Großbank Société Générale
(SG) angeblich durch seinen spektakulären Betrug in die tiefste Krise ihrer
Geschichte geführt hat, soll familiäre Probleme gehabt haben. Das
berichteten Gewerkschaftsvertreter am Donnerstag nach einer Unterrichtung
über den Vorfall durch das Management. Der Händler habe "möglicherweise
etwas den Verstand verloren", sagte einer der Arbeitnehmervertreter,
Alain Treviglio, von der Gewerkschaft CFDT.
Nicht auf der Flucht
Der 31-Jährige ist entgegen anderslautenden
Berichten nicht auf der Flucht. Er stehe den Behörden zur Verfügung, sagte
sein Anwalt am Donnerstag in Paris.
Leeson-Betrug in Schatten gestellt
Der Betrug stellt den Skandal
um den Broker Nick Leeson, der die britische Bank Barings 1995 in den Ruin
trieb, bei weitem in den Schatten. Leeson hatte bei Termingeschäften 860
Mio. Pfund verzockt.
Experten schüttelten den Kopf über die Vorgänge bei Societe Generale. Es sei erstaunlich, dass Derartiges 13 Jahre nach dem Fall Barings wieder möglich gewesen sei, erklärte der Analyst Axel Pierron von der Unternehmensberatung Celent. Der Betrug zeige, dass Banken trotz modernen Risikomanagements weiterhin in Gefahr seien, von findigen Mitarbeitern ausgetrickst zu werden.
Gilles Glicenstein, Chef der Vermögensverwaltung bei der größten französischen Bank BMP Paribas, erklärte, der Fall lasse alle Banken in einem schlechten Licht dastehen. Die Banken erlebten derzeit eine problematische Zeit, und "es sind solche Zeiten, die so schwerwiegende Dinge geschehen lassen".
Es handelt sich aber nicht um den größten Betrug bei einer Bank in der Wirtschaftsgeschichte. Betrügereien, die 1991 zum Zusammenbruch der Bank BCCI mit Sitz in London, Luxemburg und auf den Cayman-Inseln führten, hatten einen Umfang von damals über zehn Mrd. Dollar (heute 6,8 Mrd. Euro).
Milliardenbetrug nicht überraschend
Der jetzige
Milliardenbetrug überrascht den einstigen Börsen-Händler Nick Leeson nicht.
Leeson sagte der "Frankfurter Rundschau", in der Finanzwelt sei
die Risikokontrolle nicht genügend ausgebaut. Deshalb könnten auch große
Fälle wie seiner oder der bei der französischen Großbank jederzeit
passieren.
"Aber von zahlreichen Betrugsfällen erfahren wir nichts, weil die Banken für gewöhnlich alles unternehmen, dass nichts an die Öffentlichkeit gelangt", sagt Leeson, der wegen Betrugs zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden war. Auch heute noch schenkten Großbanken ihren Händlern blindes Vertrauen und investierten enorme Summen in Märkte, die sie gar nicht hinreichend bewerten könnten.