Die US-Hypothekenkrise wirkt sich weiter negativ auf die Börsen weltweit aus. Der ATX bricht um 4,4 Prozent ein.
In Folge der US-Hypothekenmarktkrise ist der Wiener Aktienmarkt am Donnerstag wieder gehörig unter Verkaufsdruck geraten. Die Wiener Börse rutschte heute, Donnerstag, am Nachmittag bei hohem Volumen deutlich ab. Der ATX wurde um 14:15 Uhr MESZ mit 4.328,24 Punkten errechnet, das ist ein Minus von 201,24 Punkten bzw. 4,44 Prozent. Zum Vergleich: DAX/Frankfurt -2,47 Prozent, FTSE/London -3,56 Prozent und CAC-40/Paris -2,91 Prozent.
Ausmaß nicht abschätzbar
"Das Ausmaß der Krise
ist derzeit für die Anleger nicht abschätzbar. Das Vertrauen in die Märkte
sinkt deutlich", kommentierte ein Marktbeobachter. Sowie an den
asiatischen Börsen standen auch in Wien Finanzwerte ganz oben auf den
Verkaufslisten der Investoren. Die Aktien von Raiffeisen International
rutschten bis dato um 4,83 Prozent auf 102,95 Euro ab und Erste Bank erging
es mit minus 4,51 Prozent auf 51,70 Euro nicht viel besser. Alleine die
Kursverluste bei den beiden Bankwerten kosteten den ATX rund 60 Punkte.
150 Milliarden Dollar Verlust für Anleger
Die
Immobilienkrise in den USA wird die Anleger nach Schätzung einer
französischen Bank weltweit 150 Mrd. Dollar (111,3 Mrd. Euro) kosten.
Angenommen werde dabei, dass die Anleger nur die Hälfte ihrer Investitionen
in schlecht abgesicherte Kreditrisiken retten könnten, teilte das
Investmenthaus Calyon am Donnerstag in Paris mit, das eine Tochter der Bank
Credit Agricole ist. Daraus entstehe allein schon ein Verlust von 130 Mrd.
Dollar. Hinzu kämen 20 Mrd. Dollar, die abgeschrieben werden müssten und aus
einer anderen Art von Risikoanlage stammten.
Gefahr für Weltfinanzsystem?
Zunehmende Sorgen, dass sich
die US-Hypothekenkrise ausweiten und eine Gefahr für das Weltfinanzsystem
werden könnte, belasteten die Märkte nach wie vor. Wieder erhöht haben die
Bedenken zuletzt, dass die US-Notenbank Fed am Mittwoch weitere Liquidität
in den Geldmarkt gepumpt hatte und es zudem am US-Markt hieß, dass die
größte Hypothekenbank des Landes, die Countrywide, in Finanznöte geraten
sei. Dadurch seien teils panikartige Verkäufe ausgelöst worden, sagten
Händler.
Die EU-Kommission erwägt Kreisen zufolge jetzt, mit gesetzlichen Regelungen für die Arbeit von Rating-Agenturen auf die US-Hypothekenkrise zu reagieren. Man werde untersuchen, ob die Agenturen zu spät vor den Problemen im US-Markt für zweitklassige Hypothekenkredite gewarnt hätten, sagte ein hochrangiger Vertreter der EU-Kommission am Donnerstag. Geprüft werden soll den Angaben zufolge nun einem möglicher Ersatz für den Verhaltenskodex, den sich Rating-Agenturen wie Standard & Poors', Moody's und Fitch nach dem Zusammenbruch des Enron-Konzerns gegeben hatten.
Tiefe der Krise noch unklar
Weiterhin falle es den
Marktteilnehmern schwer, die Tiefe der Krise und die damit verbundenen
Risiken auszuloten. Auch an Asiens Geldmärkten ging es hektisch zu; Dollar
und Euro gaben gegenüber dem Yen klar nach. Nach den negativen Vorgaben der
US-Börsen sackte der Nikkei-Index für 225 führende Werte um 327,12 Punkte
oder 1,99 Prozent auf 16.148,49 Punkte. Der breit gefasste TOPIX gab 26,69
Punkte oder 1,67 Prozent auf 1.567,46 Zähler nach.
Die japanische Notenbank pumpte am Donnerstag erneut 400 Mrd. Yen (2,54 Mrd. Euro) in den Geldmarkt, um mögliche Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Der Euro wurde zu Mittag leichter gehandelt mit 1,3404-09 Dollar nach 1,3490-92 Dollar am Vortag. Der Dollar notierte zu Mittag schwächer bei 116,41-46 Yen nach 116,93-95 Yen am Vortag.
Panikartige Verkäufe
In Tokio stand der Nikkei-Index zu
Beginn des Nachmittages (Ortszeit) mehr als drei Prozent im Minus. Gegen
Handelsschluss betrugen die Verluste immer noch 2,9 Prozent. In Seoul
berichteten Händler von teils panikartigen Verkäufen. Dort fielen die
Aktienkurse im Vormittagshandel teils um mehr als sieben Prozent. Die Börse
im australischen Sydney stand zur Mitte des Handelstages mehr als fünf
Prozent im Minus. Auch dort stießen Anleger Aktien aus Sorge ab, dass die
Krise um wackelige US-Immobilienkredite noch weitere Kreise ziehen könnte.
In Nordamerika und Australien warnten milliardenschwere Fonds ihre Anleger vor Verlusten, sollten die Panikverkäufe anhalten. Die Investoren reagierten beunruhigt und machten an den Aktienmärkten in den USA, Europa und Asien erneut Kasse. Von der Entspannung nach den massiven Finanzspritzen der Notenbanken in den vergangenen Tagen war am Mittwoch nicht mehr viel zu spüren.
Warnung vor Mittelabzug
In den USA sah sich ein Fonds, der vor
allem im Rohstoffsegment etwa 1,6 Mrd. Dollar (1,19 Mrd. Euro) verwaltet,
veranlasst, seine Kunden vor einem massiven Mittelabzug zu warnen. Ansonsten
drohten erhebliche Verluste, erklärte Sentinel Management dem Vernehmen nach
in einem Schreiben an die Investoren vom 13. August.
Kursversluste auf der Wall Street
Medienberichten zufolge
beantragte die Gesellschaft bei der zuständigen US-Aufsichtsbehörde CFTC,
alle Zahlungen an die Anleger einstellen zu dürfen, bis sich die Lage
stabilisiere. Sentinel selbst wollte dazu keine Stellungnahme abgeben. Die
Nachrichten lösten am Dienstag an der Wall Street Kursverluste aus: Der
Dow-Jones-Index für 30 Industriewerte hatte am Mittwoch erstmals seit dem
24. April 2007 unter der Marke von 13.000 Punkten geschlossen. Angesichts
des anhaltenden Drucks wegen der US-Immobilienkrise gab das weltweit
wichtigste Börsenbarometer nach vorläufigen Berechnungen um 1,29 Prozent
nach. Der Index der Technologiebörse Nasdaq verlor 1,61 Prozent.
Millarden Dollar auf Geldmarkt gepumpt
Die amerikanische
Notenbank hat derweil erneut mehrere Milliarden Dollar auf den Geldmarkt
gepumpt, um die Auswirkungen der Hypothekenkrise zu dämpfen. Die Fed stellte
den Geschäftsbanken am Mittwoch sieben Mrd. Dollar (5,19 Mrd. Euro) bereit.
Seit dem 9. August addieren sich diese Interventionen der Notenbank auf ein
Volumen von 71 Mrd. Dollar.
Die Fed will verhindern, dass Liquiditätsengpässe die Zinsen am Geldmarkt über den Richtwert von zurzeit 5,25 Prozent heben. Diesen Zinssatz der Federal Funds Rate berechnen die Banken, wenn sie einem anderen Institut kurzfristig Kredite bereitstellen. Unterdessen steigt an den Finanzmärkten die Erwartung, dass die Notenbank im September zum ersten Mal seit mehr als vier Jahren eine Zinssenkung beschließen könnte. Angesichts der anhaltenden Turbulenzen werde der Fed nichts anderes übrig bleiben, sagte der Chefvolkswirt von economy.com, Mark Zandi.
Mortgage mit Liquiditätsproblemen
Auch von anderen
Finanzinstituten trudelten schlechte Nachrichten ein: Der
US-Hypothekenfinanzierer Thornburg Mortgage verschob wegen
Liquiditätsproblemen die Dividendenzahlung um etwa einen Monat: Die Aktie
brach um 47 Prozent ein. Thornburg sah sich wegen der Krise sogar genötigt
mitzuteilen, derzeit dennoch nicht Gläubigerschutz nach Kapitel 11 zu
beantragen. Als Grund für die Engpässe nannte die Firma "beachtliche
Verwerfungen" im Hypothekenmarkt und einen bislang nicht erlebten
Wertverfall ihrer mit entsprechenden Darlehen besicherten Wertpapieren.
Warnungen auch in Australien
Auch in Australien hatten unlängst
Hedgefonds und die Investmentbank Macquarie vor erheblichen Einbußen wegen
der US-Hypothekenkrise gewarnt. Der australische Fonds Basis Capital
kündigte nun am Mittwoch an, stärker betroffen zu sein als bislang
angenommen. Er warnte vor drohenden Verlusten von mehr als 80 Prozent -
bislang hatte der Fonds maximal 50 Prozent in Aussicht gestellt. Eine
kanadische Ratingagentur sagte derweil voraus, dass auch der nördliche
US-Nachbar von der Krise nicht verschont werde. Prominentestes deutsches
Opfer der Hypothekenkrise ist bislang die Mittelstandsbank IKB, die sich in
den USA massiv verspekuliert hatte und von der KFW mit Milliardenhilfen
gestützt werden musste.
Aktienmärkte stark belastet
Wegen der rasant gestiegenen
Zahl an Ausfällen bei Baufinanzierungen in den USA haben sich weltweit viele
Anleger in den vergangenen Wochen panikartig aus Papieren zurückgezogen, die
mit Forderungen aus solchen Hypothekenkrediten besichert sind. Dies führte
bei vielen Fonds zu massiven Wertverlusten und zwang sie dazu, Auszahlungen
zu stoppen. Weltweit stieg die Angst vor einer Ausweitung der Krise auf den
gesamten Kreditmarkt. Entsprechende Befürchtungen belasteten auch die
Aktienmärkte und veranlassten wiederum Zentralbanken rund um den Globus zu
milliardenschweren Finanzspritzen in das Bankensystem.
Lage am Geldmarkt stabilisiert sich
Die Lage am Geldmarkt, auf
dem sich Banken mit Liquidität versorgen, stabilisierte sich seither. An den
Aktienmärkten allerdings dürfte die Krise längst nicht überstanden sein. "Der
Markt schießt zuerst und stellt später Fragen", sagte ein
Stratege. Die Märkte seien ohnehin nervös und Schwäche führe zu weiterer
Schwäche. Der Deutsche Aktienindex verlor bis zum Nachmittag mehr als 0,8
Prozent.