Die WTO-Gespräche in Genf treten auf der Stelle. Unter anderem fordert Brasilien bessere Agrarangebote von der USA und der EU.
Die seit Montag laufenden Gespräche bei der Welthandelsorganisation (WTO) kommen kaum voran. Nach einer turbulenten Nachtsitzung setzten die rund 40 Minister, die derzeit in Genf im Namen von 153 WTO-Mitgliedsstaaten auf einen Abschluss der Doha-Handelsrunde hinarbeiten, darauf, dass niemand vorzeitig die Verhandlungen abbricht. Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva forderte die USA und die EU auf, bessere Agrarangebote zu unterbreiten. Andernfalls sei der gesamte Prozess in Gefahr und es werde kein Abkommen geben, sagte Lula in Brasilia.
Neue Marktchancen unverzichtbar
Für den deutschen
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos sind neue Marktchancen für die
deutsche Industrie bei einem Abkommen unverzichtbar. Bauernpräsident Gerd
Sonnleitner warnte die EU-Kommission vor weiteren Zugeständnissen im
Agrarbereich. Glos geht davon aus, dass eine Einigung über eine weitere
Liberalisierung des Welthandels trotz großer Meinungsunterschiede noch
möglich ist. Alle müssten sich weiter bewegen, sagte Glos am Donnerstag in
Genf. Allerdings gebe es auch unverzichtbare Forderungen. Da etwa
Industriegüter rund 70 Prozent des Welthandels ausmachten, müssten dafür bei
der Doha-Runde Verbesserungen erreicht werden. "Unsere Autoindustrie darf
nicht Leid tragend sein, sondern muss im Gegenteil neue Marktchancen
erhalten", sagte Glos. "Das ist für mich unverzichtbar."
Kritik gab es für den Verhandlungsführer, WTO-Generaldirektor Pascal Lamy. Er versucht, die seit knapp sieben Jahren stockende Doha-Handelsrunde für einen freieren Marktzugang von Agrar- und Industriegütern reif für einen Abschluss Ende dieses Jahres zu machen. Dafür hat er kleine Gruppen gebildet, und ließ zunächst nur Vertreter von sieben Ländergruppen, wie die EU und die USA, Australien und Japan sowie Brasilien, Indien und China diskutieren. Dies wurde von anderen, an den Beratungen nicht beteiligten Ländern der 153 WTO-Staaten zum Teil heftig kritisiert. Insgesamt muss im Konsens entschieden werden. Norwegens Außenminister Jonas Gahr verteidigte diesen Stil, zumal diese Länder 80 Prozent der Weltwirtschaft repräsentierten. "Wenn die sich nicht einigen können, ist es unwahrscheinlich, dass eine größere Gruppe sich einigen wird", sagte Gahr.
Zugeständnisse beim Abbau von Agrarsubventionen
Vor allem
sollte ausgelotet werden, welche weiteren Zugeständnisse beim Abbau von
Agrarsubventionen und -zöllen besteht. Ihre Kürzungen sind Vorbedingung für
die ärmeren Länder, damit sie ihre Märkte für Güter und Dienstleistungen wie
Autos, Maschinen oder etwa Versicherungen öffnen. Doch genau da fordern etwa
die EU und die USA, die bereits neue niedrigere Sätze vorgelegt haben, nun
Vorleistungen. "Natürlich gibt es noch Missverständnisse, manchmal sieht es
aber auch so aus, als ob manches absichtlich missverstanden wird", sagte
Glos.
Lula sagte, die Ausmerzung der Subventionen sei von "vitaler Bedeutung" bei der Bekämpfung der aktuellen Lebensmittelkrise, da sie zu einem Anstieg der Agrarproduktion in allen Entwicklungsländern führen würde. "Damit die ärmeren Länder Lebensmittel produzieren, sind bessere Marktaussichten nötig, damit sie ihre Produkte verkaufen können", meinte der Präsident.
Zwischen Deutschland und Frankreich brachen nach Angaben aus deutschen Delegationskreisen Differenzen auf. "Man hat den Eindruck dass Frankreich den positiven Abschluss nicht will", sagte ein hochrangiges Mitglied der deutschen Delegation in Genf, das namentlich nicht genannt werden wollte. Es verwies auf Äußerungen von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, nach denen sich der Verdacht aufdränge, "dass man es dort als einen Erfolg betrachtet, wenn es kein Ergebnis gibt". "Es gibt unterschiedliche Sichtweisen zwischen Deutschland und Frankreich", formulierte das Delegationsmitglied und unterstrich: "Deutschland kämpft weiter für einen Erfolg."
Keine Unterschrift
Sarkozy hatte zuvor in Frankreich erklärt,
das, was in Genf auf dem Tisch liege, werde er nicht unterzeichnen, sofern
es nicht geändert werde. Frankreich ist unzufrieden mit dem Ausmaß, in dem
die EU Importschranken für Agrargüter abbauen soll. In den Verhandlungen in
Genf geht es im Kern darum, in welchem Maße die Industrieländer einerseits
ihre Subventionen für ihre Agrargüter zurückführen und als Gegenleistung vor
allem die Schwellenländer andererseits ihre Märkte für Industriegüter und
Dienstleistungen öffnen. Bis Donnerstag war es noch nicht gelungen, in
dieser Frage zu einem Durchbruch zu kommen.
Die aktuelle Verhandlungsrunde war 2001 in Doha gestartet worden. Sie sollte insbesondere dem Ziel dienen, die ärmsten Länder besser in den Welthandel zu integrieren und damit voranzubringen. Gelingt in Genf aktuell kein Erfolg, so dürfte die Chancen dafür nach Angaben vieler Beteiligter für längere Zeit verspielt sein.