Ein Hoch auf die Nüchternheit. Mit Jahreswechsel wird weltweit mit dem „Dry January“ die Alkoholabstinenz zelebriert. Suchtexpertin Dr. Harmankaya verrät, wie die Auszeit gelingt und, ab wann Genusstrinken in die Sucht abgleitet.
Im Kollektiv fällt Veränderung leichter. Wie der Veganuary (der vegane Jänner) oder diverse Sportchallenges setzt auch der Dry January (der trockene Jänner) – eine weltweite Gesundheitskampagne – auf das motivierende Gemeinschaftsgefühl. Für Dr. Elisabeth Harmankaya, Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin mit beruflichen Stationen in der Suchttherapie, ist der Dry January „eine populäre Möglichkeit, den Jänner ohne Alkohol zu verbringen – und damit nicht nur dem Körper, sondern auch dem Geist eine wohlverdiente Pause zu gönnen. 31 Tage ohne Alkohol können zu einer Gelegenheit werden, den eigenen Lebensstil zu hinterfragen, neue Energien zu entdecken und das Jahr mit mehr Klarheit zu starten.“ Besonders für Frauen, die durch gesellschaftliche Erwartungen oder Stressbewältigungsstrategien oft zum Glas greifen, könne dieser Monat eine wichtige Reflexionsphase sein. „Denn Alkohol“, so die Wiener Medizinerin, „ist mehr als nur ein Genussmittel: Als Zellgift greift er zahlreiche Organe an und kann bei regelmäßigem Konsum langfristig erhebliche Schäden verursachen.“
Vor allem Frauen haben ein Problem
Ein häufiger Trugschluss ist, dass ein moderater Konsum harmlos sei. „Tatsächlich“, so Dr. Harmankaya, „beginnt die Schädigung des Körpers ab dem ersten Schluck. Ein bewusster Blick auf die Folgen von regelmäßigem Alkoholkonsum ist deswegen entscheidend. Denn langfristig kann Alkohol nicht nur das Risiko für Depressionen und erhöhten Stress steigern, sondern auch zur Entwicklung einer Abhängigkeit führen.“ Frauen sind dabei besonders anfällig für die negativen Auswirkungen, da ihr Körper aufgrund eines geringeren Wasseranteils Alkohol schneller und intensiver aufnimmt. Zudem baut der weibliche Organismus Alkohol langsamer ab, da das Enzym Alkoholdehydrogenase, das für den Abbau verantwortlich ist, in geringerer Menge vorhanden ist. „Auch hormonelle Schwankungen – etwa im Zyklus oder in den Wechseljahren – beeinflussen, wie Alkohol vertragen wird. Die Folge: Ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brustkrebs und Schäden an Leber, Gehirn und an deren Organen“, so die Ärztin. Im folgenden verrät Dr. Harmankaya, wie man den Konsum von Hochprozentigem nachhaltig reduzieren kann.
Tipp 1: Stressbewältigung neu
Am Beginn des Projekts steht die Frage, warum man gerne trinkt. Aus Genuss oder z.B. zur Stressbewältigung? Eine gesunde Alternative zur Entspannung mit Alkohol besteht darin, neue Rituale zur Stressbewältigung zu entwickeln und den Fokus auf positive Aktivitäten zu legen. Yoga, Meditation oder kreative Hobbys wie Malen oder Schreiben können helfen, den Geist zu entspannen und den Alltag bewusster zu gestalten. Während Yoga durch sanfte Bewegungsabläufe und Atemtechniken hilft, Anspannungen im Körper zu lösen, trägt Meditation dazu bei, den Geist zu beruhigen und Achtsamkeit für den Moment zu entwickeln. Auch eine begleitende Psychotherapie kann präventiv unterstützen, indem sie hilft, Stressauslöser oder ungesunde Verhaltensmuster zu erkennen und langfristig zu verändern. Beide Ansätze bieten wertvolle Möglichkeiten, Körper und Psyche in Einklang zu bringen und neue Strategien zur Stressbewältigung zu entwickeln, ohne auf Alkohol zurückzugreifen.
Tipp 2: NEIN sagen trauen
Es ist zudem wichtig, den gesellschaftlichen Druck zu hinterfragen, der den Konsum von Alkohol als normal oder gar notwendig erscheinen lässt. Nein zu sagen, erfordert Mut, doch es ist ein Schritt, der zu mehr Gesundheit und Selbstbestimmung führt. Wer bemerkt, dass sein Umfeld darauf besteht, dass er oder sie trinkt, sollte dies als Anlass nehmen, die sozialen Beziehungen zu überdenken. Freundschaften und Gemeinschaften sollten auf Respekt basieren.
Tipp 3:Vorteile erkennen
Für Frauen, die sich mit dem Wunsch nach Alkoholabstinenz konfrontiert sehen, ist es hilfreich, die langfristigen Vorteile zu bedenken – sei es für die eigene Gesundheit, die Fruchtbarkeit oder das allgemeine Wohlbefinden. Bereits eine kurze Auszeit kann zeigen, was eine Abstinenz bewirken kann.
Tipp 4: Frühzeitige Unterstützung
Die Hemmschwelle, Hilfe zu suchen, ist hoch, da das Thema Alkoholabhängigkeit stigmatisiert ist – insbesondere für Frauen, die gesellschaftlich häufig noch stärker geächtet werden als Männer, wenn sie als abhängig wahrgenommen werden. Dennoch ist es essenziell, sich frühzeitig Unterstützung zu holen, bevor der Konsum außer Kontrolle gerät. Ein bewusster Verzicht im Rahmen des Dry January kann hier ein erster wichtiger Schritt sein, um die eigene Beziehung zu Alkohol zu hinterfragen. Wer bemerkt, dass der Konsum häufiger oder sogar täglich erfolgt, sollte dies ernst nehmen und sich beraten lassen. Allgemeinmediziner:innen spielen hierbei eine wichtige Rolle, da sie oft die erste Anlaufstelle sind und durch gezielte Fragen oder Screening-Methoden frühzeitig auf mögliche Probleme hinweisen können. Wer noch keine passende Ansprechperson hat, kann diese über Plattformen wie DocFinder schnell und unkompliziert finden. Zusätzlich bieten spezialisierte Einrichtungen wie das Blaue Kreuz, das Anton-Proksch-Institut oder der Grüne Kreis geschützte Räume und professionelle Hilfe. Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker ermöglichen den Austausch mit Gleichgesinnten. Ergänzend dazu sind psychiatrische und psychotherapeutische Maßnahmen entscheidend, um die tieferliegenden Ursachen des Konsums, etwa Angststörungen, Depressionen oder Traumata, aufzuarbeiten.
Verzicht auf Alkohol
Dr. Harmankayas Fazit: Der Verzicht auf Alkohol ist nicht nur eine kurzfristige Herausforderung, sondern auch eine Möglichkeit, das eigene Leben nachhaltig zu verbessern. Niemand muss sich für einen schädlichen Alkoholkonsum schämen. Der erste Schritt zu einer positiven Veränderung besteht darin, sich mit den eigenen Gewohnheiten auseinanderzusetzen, frühzeitig professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und gesunde Alternativen zu finden.