Zwei- bis dreimal so viele Frauen wie Männer erkranken einmal in ihrem Leben an einer Depression.
Angststörungen, Depressionen, Essstörungen, affektive Störungen - all das ist vor allem weiblich. Dass Frauen häufiger an diesen psychischen Erkrankungen leiden, ist vor allem auf gesellschaftspolitische Verhältnisse zurückzuführen, erklärte Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen. Vorgegangen werden müsse gegen Gender-Pay-Gap, Körperideale, Gewalt und die ungleiche Aufteilung der Care-Arbeit.
Zwei- bis dreimal so viele Frauen wie Männer erkranken einmal in ihrem Leben an einer Depression, bis zu 6,5-mal so häufig entwickeln sie einmal in ihrem Leben eine Essstörung, geht etwa aus dem im Februar veröffentlichten Frauengesundheitsbericht 2022 hervor. Insgesamt sind psychische Erkrankungen für rund 15 Prozent der Krankheitslast von Frauen in Österreich verantwortlich, bei Mädchen und jungen Frauen unter 20 Jahren sind sie mit 27 Prozent sogar die häufigste Ursache für in Krankheit verbrachte Lebensjahre.
Soziale Benachteiligung als Faktor
Seit langem vorherrschende äußere Umstände würden Frauen schwächen, meinte Wimmer-Puchinger, die sich u.a. als Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien für das Thema einsetzte. Nicht nur würden mehr Frauen in Armut leben, Frauen würden sich außerdem - vermittelt vor allem durch Soziale Medien - unter Druck gesetzt fühlen, einem körperlichen Ideal zu entsprechen. Sie seien vom Gender-Pay-Gap betroffen und es falle ihnen schwerer, im Berufsleben aufzusteigen, weil sie durch die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit und Kinderbetreuung häufig in Teilzeit arbeiten. Mehrfachbelastungen während der Pandemie hätten sich in vermehrten depressiven Verstimmungen oder Burn-out ausgedrückt, noch immer würde es Frauen zehn Prozent schlechter gehen als vor Corona, so die Psychologin. Sind Frauen außerdem von Gewalt betroffen, würden sie dreimal so häufig an Depressionen erkranken wie jene, die diese Erfahrung nicht gemacht haben.
Dass Frauen mehr zu psychischen Erkrankungen neigen, beginne in der Pubertät ab einem Alter von elf Jahren. 27 Prozent der Unter-20-Jährigen seien nicht mit sich zufrieden, erzählte Wimmer-Puchinger. Frauen würden aufgrund ihrer Sozialisation - mit Mädchen gehe man vorsichtiger um und traue ihnen weniger zu - aber auch im Allgemeinen kritischer als Männer mit sich selbst ins Gericht gehen. Einflüsse hat das nicht nur auf die Gesundheit der Frauen, sondern auch auf ihre Erwerbstätigkeit: Auf Frauen in Österreich entfallen fast doppelt so viele Krankenstandstage aufgrund von psychischen- und Verhaltungsstörungen als auf Männer, heißt es im Frauengesundheitsbericht. Psychische Erkrankungen seien bei Frauen auch einer der Hauptgründe für eine Frühpensionierung, fügte Wimmer-Puchinger hinzu.
Psychische Gesundheitskompetenzen von Männern stärken
Gesellschaftliche Rollenbilder beeinflussen allerdings beide Geschlechter. Kämpfen Männer mit psychischen Problemen, so würden sie das hauptsächlich nach außen kehren, die Folge seien Suchterkrankungen oder Aggression. "Männer sind nicht glücklicher, aber es äußert sich anders", meinte die Psychologin. Die Frauenrolle würde es eher ermöglichen, sich einzugestehen, dass "es mir nicht so gut geht". Männer, die lernen, stark sein zu müssen, könnten das weniger, weshalb auch mehr Frauen Psychologen oder Psychotherapeuten aufsuchen. Zwei Drittel der Psychopharmaka würden außerdem an Frauen verschrieben - teilweise zu schnell, wie Wimmer-Puchinger kritisierte.
Sie plädierte für Aufklärungskampagnen, die "Mental Health Literacy", also Wissen über psychische Gesundheit und Erkrankungen, vermitteln sollen. Gegen Gewalt an Frauen brauche es einen Schulterschluss vieler gesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure. Ebenso könne ein Ausbau der Kinderbetreuung, eine gerechtere Aufteilung der Betreuungspflichten und die Stärkung des Selbstwerts von Frauen ab dem Kindesalter die Situation verbessern. Wimmer-Puchinger verweist außerdem auf den Aktionsplan Frauengesundheit, der 40 Maßnahmen u.a. zur Gewaltprävention und zur Förderung positiver Selbstbilder beinhaltet.